Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit, anlässlich der Szenischen Lesung „Das Haus des Paul Levy“

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Verehrter, lieber Herr Batz!

Ich begrüße die Mitglieder des Konsularischen Korps

und die Präsidentinnen und Präsidenten der Hamburger Gerichte,

sehr geehrte Frau Senatorin,

liebe Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrte Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft heiße ich Sie im Großen Festsaal unseres Rathauses sehr herzlich willkommen.

 

Heute jährt sich der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zum 20. Mal.

 

Es ist ein stilles Jubiläum, an dem wir uns gemeinsam an alle Menschen erinnern, die während der NS-Gewaltherrschaft ausgegrenzt, vertrieben, verfolgt, gefoltert und ermordet wurden.

 

Für unsere Freie und Hansestadt ist es eine Verpflichtung und zugleich ein innerer Wunsch, die Schicksale dieser Menschen niemals zu vergessen, die Erinnerung an die grausamen NS-Verbrechen zu bewahren und würdevoll mit dem Schicksal der Opfer umzugehen.

 

Wir tun dies auf ganz unterschiedliche Weise, meine Damen und Herren.

So gibt es zum Beispiel in unserer Heimatstadt viele sichtbare Zeichen unseres Gedenkens – und es kommen immer wieder neue hinzu.

 

Erst im vergangenen November wurde zwischen Stephansplatz und Dammtor der Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz eröffnet. Der Weg dahin war lang, die Auseinandersetzung ausführlich.

 

Die Hamburgische Bürgerschaft hatte sich einstimmig für den Bau ausgesprochen; für uns ist es wichtig, diese Menschen, die früher zu Unrecht als Feiglinge und Vaterlandsverräter galten, als NS-Opfer anzuerkennen – und ihnen damit ein Stück weit ihre Würde zurückzugeben.

 

Darüber hinaus entsteht am Lohsepark in der HafenCity ein zentraler Gedenkort zur Deportationsgeschichte und damit zum Schicksal von mehr als 7.600 vom Hannoverschen Bahnhof aus in die Todeslager verschleppten Juden, Sinti und Roma.

 

Oder nehmen Sie die Stolpersteine: sie zeigen, wo überall bei uns NS-Opfer lebten und ermöglichen auf diese Weise ein Gedenken an vielen Stellen in unserer Stadt.

 

Am 29. März wird am Valentinskamp der mittlerweile 5.000 Gedenkstein eingeweiht.

 

Und heute ist beim Bertini-Preis eine Gruppe von Schülerinnen ausgezeichnet worden, die im vergangenen Jahr mit großem Engagement dafür gesorgt haben, dass es in ihrem Stadtteil den allerersten Stolperstein überhaupt gibt: auf Finkenwerder.

 

Dass also einige dieser Gedenkorte erst kürzlich entstanden oder am Entstehen sind, zeigt deutlich, dass viele Geschehnisse aus der NS-Zeit erst sehr spät aufgearbeitet wurden – oder noch aufzuarbeiten sind.

 

Ich darf an dieser Stelle, auf unsere Rathaus-Ausstellung „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“ hinzuweisen.

Sie zeigt uns, wie die Nazis nach ihrer Machtergreifung auch in den Sportvereinen ein System der Gleichschaltung etablierten. Dass viele Vereine in unserer Stadt nicht erst auf Anweisung handelten, sondern dieses System in „vorauseilendem Gehorsam“ umsetzten, ist erschreckend.

 

Und macht vor allem eines deutlich: Auch im Sport gab es einen starken Rückhalt in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung für die NS-Ideologie.

 

Demokratische Strukturen wurden in allen Bereichen des öffentlichen Lebens beseitigt, Andersdenkende ausgeschlossen.

 

Plötzlich waren antisemitische Grundsätze, die es Juden unmöglich machte, weiterhin am Alltag teilzunehmen und Mitglied in der Gesellschaft zu sein, ganz selbstverständlich.

 

Mit der Folge: Sie verloren erst ihre Unabhängigkeit, schließlich ihre Mündigkeit und Freiheit.

 

Verehrte Gäste,

 

um genau diese Ausgrenzung geht es heute auch in der Szenischen Lesung „Das Haus des Paul Levy“.

 

Sie beschreibt sehr genau, wie sich für die vor allem jüdischen Bewohner eines Hauses in der Rothenbaumchaussee 26 das Leben nach 1933 drastisch veränderte, zum Beispiel:

  • geht es um Bankiers, deren Geldhaus „arisiert“ wird;
  • Juristen, die von heute auf morgen nicht mehr praktizieren dürfen
  • oder Künstler, die sich vor Gericht wegen angeblichen Diebstahls verantworten müssen.

 

Viele von ihnen versuchen, diesem Klima aus Angst und Verunsicherung zu entfliehen – jeder für sich auf seine eigene Art. Auch davon handelt das Stück, dessen Premiere wir heute erleben dürfen.

 

Verehrter, lieber Herr Batz,

 

wir sind Ihnen sehr dankbar, dass wir zum mittlerweile 17. Mal eine szenische Lesung im Rathaus aufführen dürfen.

 

Die Recherche gestaltet sich sicher nicht immer einfach, und häufig müssen Sie in Archiven in regelrechter Kleinarbeit einzelne Teile heraussuchen und zu einem Ganzen zusammenfügen.

 

Dabei fragen wir uns ja häufig, woher Sie Ihre Ideen für diese herausragenden Dokumentarstücke nehmen.

 

Der Impuls für die „Geschichte des Paul Levy“ hat mit einem Musikinstrument zu tun, meine Damen und Herren.

 

Im Jahre 1988 wurde nämlich unter den Dielen des Dachbodens im Haus Rothenbaumchaussee 26 eine Klarinette gefunden. Man wusste zwar, dass sie aus den USA stammte, aber nicht, wem sie gehörte. Also begaben Sie sich, lieber Herr Batz, auf eine einjährige Spurensuche über dieses Haus.

 

Das rote Klinkerhaus, das so ganz anders aussieht als seine Nachbarn, war eines der ersten Baugenossenschaftsprojekte in Hamburg, modern, mit großen Wohnungen.

 

1922 wurde es bezogen – und schließlich arisiert.

 

Die jüdischen Bewohner mussten es verlassen und schnell kamen neue, NS-treue Bewohner.

 

Darunter zum Beispiel der Kaufmann Kurt Albert Uebel, der eine enteignete jüdische Firma für Jute-Erzeugnisse übernommen hatte.

 

Oder Prof. Theodor Heynemann. Der Direktor der Universitäts-Frauenklinik Eppendorf beschäftigte sich als Gelehrter mit Erb- und Rassefragen und führte Zwangssterilisationen durch – auch im Hörsaal.

 

Im Zuge der Entnazifizierung wurde er als „einwandfrei“ eingestuft. Nach ihm ist eine Straße in Langenhorn benannt worden. Im Jahre 1960.

 

Meine Damen und Herren!

 

Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft möchte ich dem Ensemble danken:

 

Isabella Vértes-Schütter, Jantje Billker, Gustav Peter WöhlerWöhler und

Wöhler und Erik Schäffler.

 

Für die musikalische Umrahmung sorgen Edgar Herzog und Jakob Neubauer. Die damals gefundene Klarinette wird heute Abend übrigens zum Einsatz kommen.

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


Ort: Rathaus, Großer Festsaal