Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit zur Feierstunde anlässlich des Gedenktages „8. Mai 1945“

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Frau Ingram,
sehr geehrter Herr Dr. Vetter,
sehr geehrte Damen und Herren,

heute vor 78 Jahren, am 8. Mai 1945, abends um 23.01 Uhr, endete für Europa das, was am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begonnen hatte. 


In Deutschland beendete die bedingungslose Kapitulation auch die zwölfjährige Naziherrschaft, die die Deutschen und auch die Hamburgerinnen und Hamburger 1933 zwar mehrheitlich gewählt hatten, die dann aber in kürzester Zeit zu einem Terrorregime mutierte, in dem Andersdenkende auf brutalste Weise unterdrückt, drangsaliert, gefoltert und ermordet wurden. 


Diejenigen, die überlebt hatten, konnten zum ersten Mal aufatmen. Einige kamen aus langjährigen Verstecken oder aus dem Exil, andere wurden aus Konzentrationslagern befreit, Hunderttausende Zwangsarbeiter:innen konnten endlich zurück in das, was der Krieg von ihrer Heimat übrig gelassen hatte.


Das Deutsche Reich, vor allem die Großstädte und eben auch unser Hamburg lagen in Schutt und Asche. Mit dem Feuersturm der Operation Gomorrha hatten die angreifenden Flugzeuge ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht, etwa 34.000 Zivilist:innen, also vor allem Kinder, Frauen und sehr alte Menschen, starben innerhalb von nur zwei Sommertagen. Die Hälfte aller Hamburger Wohnungen war zerstört oder schwer beschädigt, Hunderttausende mussten in Kellern, Ruinen oder Behelfsheimen wohnen.


Immerhin hatten sie überlebt, anders als zum Beispiel sechs Millionen Juden, 
vierzehn Millionen sowjetische Zivilisten, 
drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 
1,8 Millionen polnische Zivilisten, 
312.000 serbische Zivilisten, 
250.000 Menschen mit Behinderungen, 
ebenso viele Sinti*zze und Rom*nja und viele weitere Opfer. 
Insgesamt führen Statistiker 60 bis 80 Millionen Tote als Opfer des Zweiten Weltkriegs auf.


Dass in einem solide demokratisch verfassten Staat, wie es das Deutschland der Weimarer Republik ja eigentlich war, dass Hitler und die NSDAP da an die Macht gewählt wurden, ist kein Zufall. 


Es ist das Ergebnis jahrelanger Hetze gegen den Staat, seine Verfassung und seine Repräsentanten, die öffentlich gemachte stetige Verachtung gegen demokratische Politiker:innen, und es ist eine Reaktion auf Massenarbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise. 


Die Situation ist mit unserer heutigen natürlich nicht wirklich vergleichbar, aber: Lassen Sie uns wachsam bleiben – so etwas darf sich nie, niemals wiederholen!


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Juni 2022 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft mit großer Mehrheit, den 8. Mai als offiziellen Gedenktag in Hamburg einzuführen, um die Befreiung vom Nationalsozialismus würdig zu begehen. 


Viele haben sich seit Jahrzehnten um dieses Datum (in Hamburg ja eigentlich der 3. Mai als Tag der Kapitulation) verdient gemacht. Dazu gehören neben der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Förderkreis St. Nikolai zum Beispiel auch das Auschwitz-Komitee, die Hamburger Stiftung für NS-Verfolgte, der Volksbund, Gewerkschaften, Bündnisse wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregiemes und viele Antifaschistinnen und Antifaschisten mehr. 


Ihnen allen sei ausdrücklich gedankt, für die Arbeit der vergangenen Jahre, für die Veranstaltungen die auch heute und in diesen Tagen stattfinden und für die Gewissheit, dass Euer Kampf für die Freiheit, unsere Arbeit gegen das Vergessen und für das Erinnern niemals aufhören wird! 


Gemeinsam haben wir die Form dieser heutigen – ersten offiziellen – Veranstaltung entwickelt. 
Wir wollen sie ausdrücklich weiterentwickeln, Orte und Format dürfen und sollen wechseln. 
Ich danke Marione Ingram ganz herzlich, die heute als Zeitzeugin einer jüdischen Kindheit in Hamburg sprechen wird. 


Meine Damen und Herren,
Der Blick in die Vergangenheit ist grausam, ja unerträglich. Hier in Sankt Nikolai werden die Wunden des Krieges sichtbar gehalten. Wir sehen, was Krieg anrichten kann. 


Der 8. Mai soll uns heute und in den kommenden Jahren mahnen, den Blick in diesen Abgrund zu werfen. So schmerzhaft das auch immer sein mag. 


Mit dem Gedenken an alle Opfer von Krieg und Verfolgung in der NS-Zeit, an die Verbrechen durch das NS-Regime in Deutschland und Hamburg, an die Befreiung zahlloser Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und das Ende des Zweiten Weltkrieges ist untrennbar der Blick in die Zukunft verbunden, und dem höchsten Gut, das wir zu verteidigen haben: Unseren Frieden. 


Seit 78 Jahren herrscht in Deutschland kein Krieg mehr. Wir dürfen dankbar sein allen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten darum verdient gemacht haben.  


Und meine sehr verehrten Damen und Herren, 

ich sage dies ganz gezielt mit Blick auf das schreckliche Geschehen in der Ukraine: 

Wir erinnern heute an das Ende eines Krieges, während wir gegenwärtig mitten in Europa wieder einen Krieg haben. Der Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf die Freiheit, auf unsere westliche Lebensweise, auf die Rechte und Möglichkeiten, die wir uns als Europäer:innen erkämpft haben.


Die Vergangenheit mahnt uns, unser demokratisches Gemeinwesen dauerhaft zu verteidigen. Und so steht es auch in unserer Hamburger Verfassung: 


„Die Freie und Hansestadt Hamburg hat als Welthafenstadt eine ihr durch Geschichte und Lage zugewiesene, besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volk zu erfüllen. Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.“


Das heutige Datum ist eine Aufforderung an uns, unsere Freiheitsrechte für die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder wachsam zu schützen. Von diesem Gedenktag soll die Botschaft ausgehen: 


Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus!


Vielen Dank. 

Datum: Montag, 8. Mai 2023, 15:30 Uhr
Ort: Mahnmal Sankt Nikolai