Festrede der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Verleihung des Bertini-Preises

Es gilt das gesprochene Wort!


Liebe Isabella Vértes-Schütter,
sehr geehrter Herr Schulsenator,
liebe Preisträger:innen,
liebe Schüler:innen und Lehrkräfte,
meine sehr verehrten Damen und Herren,


jetzt haben Sie und habt ihr schon zwei Reden gehört und einen Film und eine Band gesehen und die Preise sind immer noch nicht verteilt. Ich werde mich also lieber etwas kurzfassen, aber ein bisschen Festrede soll ja schon sein.


Der Bertini-Wettbewerb hat ja eine großartige Tradition etabliert: Seit 25 Jahren werden junge Menschen in Hamburg ermutigt, sich einzubringen, nachzuhaken und gegen Rassismus in der Gesellschaft aufzustehen. Der Preis ist eine besondere Auszeichnung, die an euer Engagement, die Visionen und den Mut appelliert.


Vor dem Erinnern an die nationalsozialistische Vergangenheit unserer Stadt und unseres Landes steht ja oft erstmal ein großes „WHY?“. Wozu?


Es geht darum, Anknüpfungspunkte und Fragestellungen zu Themen und Schicksalen aus der NS-Zeit zu finden, die Geschichte mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen.


Vielen, vielen Teilnehmenden des Bertini-Preises ist es dann immer wieder gelungen, in ihren Projekten Verbindungen zwischen dem, was war und dem, was sein sollte herzustellen.

Denn es soll nie wieder so sein, wie es damals war.

Nie wieder!


Ihr, liebe Schüler:innen, hinterlasst ganz im Ernst Spuren, ihr baut Brücken in die Gegenwart, ihr öffnet Türen, ihr reißt Mauern ein und erweckt Geschichte zum Leben,

ihr schafft so Räume:

  • für ein friedliches Miteinander,
  • für ein gutes Zusammenleben
  • und für eine gemeinsame Zukunft in unserer Stadt.


Junge Menschen haben so in den vergangenen Jahrzehnten viele wichtige Spuren im Stadtbild Hamburgs hinterlassen und dafür Bertini-Preise bekommen: viele Film- und Zeitzeugenprojekte haben an Schulen Erinnerungen lebendig gehalten und Verständnis geweckt.


Preisträger:innen initiierten Orte des Gedenkens in der ganzen Stadt und regen so die Passant:innen zum Nachdenken an.


Auch ich muss immer kurz innehalten, wenn ich am ehemaligen Kinderkrankenhaus in Rothenburgsort – in der Nähe von meinem Abgeordnetenbüro – vorbeikomme.


Gleich mehrere Kunst- und Theaterprojekte haben an die Kinder und Säuglinge, die dort im Krieg ermordet wurden, erinnert.


Ihnen und all den anderen Opfern der Nazis gedenken wir heute.

Heute vor 78 Jahren wurden die etwa 7.000 Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz befreit, nachdem dort etwa eine Million Menschen ermordet wurden.


Seit 1996 ist der 27. Januar Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, und seit 2005 auch ein europäischer Gedenktag.


Er erinnert uns:
Nur, wenn wir uns fortwährend, und auch immer wieder neu, mit der NS-Geschichte unserer Heimatstadt auseinandersetzen, uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, können wir Sorge dafür tragen, unsere Zukunft dauerhaft friedlich zu gestalten.


Verantwortlich für das, was damals geschah, sind nicht nur Hitler, die Nationalsozialisten und alle ihre Mittäter:innen.


Lange bevor sie ihr Terrorregime errichteten, wurde der Grundstein für Antisemitismus und Hass gelegt.


Damit ein grausamer Diktator wie Hitler seine teuflischen Plan umsetzen kann, brauchte er Menschen, die ihm an die Macht verhalfen, die seine Befehle ausführten und viele, sehr viele Helfer:innen, die mit Hass und Hetze seine Gegner:innen und die Unterdrückten zum Schweigen bringen.


Er braucht die Kund:innen, die aufhörten in den jüdischen Kaufladen zu gehen, er braucht die Nachbar:innen, die in den Treppenhäusern lauschen und dann doch ihre Türen verschließen und er brauchte Menschen, die bereit sind ihre Gefährt:innen zu verraten, um sich selbst in Sicherheit zu bringen.


Er brauchte ein Volk, das in der Pogromnacht einfach zusieht und schweigt oder gar mitmacht, obwohl es ganz genau sieht, wie tausenden Mitmenschen Gewalt angetan wird.

Das könnten wir sein. Oder???


Erich Kästner hat gesagt:
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.


Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat“.


Deshalb, liebe Schülerinnen und Schüler,
deshalb ist gerade Eure Arbeit so wichtig. Hetze und Unrecht, Hass und Rassismus muss man immer, überall und sofort entgegentreten. Man darf niemals schweigen oder wegsehen.


Ich habe vorhin gesagt: Das könnten Wir sein. Ich weiß nicht, ob ich, ob wir alle damals den Mut gehabt hätten, aufzustehen.


Aber ich weiß, dass wir das heute können und dass wir genau dies tun müssen, wenn wir unsere Freiheit schützen wollen.


Niemand muss heute etwas befürchten, wenn er oder sie gegen politische Entscheidungen auf dem Rathausmarkt protestiert oder eine Volksinitiative startet.


Liebe Gäste,

in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist viel passiert, um dieses dunkle Kapitel und die Schattenseiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.


Dazu gehören 124 Bertini-Preise, die in den vergangenen 25 Jahren verliehen wurden, und sie alle belegen, dass es junge Leute gibt, die für unsere Freiheit eintreten.


Viele der eingereichten Arbeiten berichten über die Vergangenheit, reflektieren sie und leiten Hinweise für eigenes Handeln daraus ab. Geschichte lernen kennen wir alle aus der Schule, aber aus der Geschichte zu lernen, ist eine andere Qualität.


Und andere greifen neue Formen von Unrecht und Diskriminierung auf, so wie Kästner es gesagt hat: Den Schneeball zertreten, bevor er zur Lawine wird.


Darin liegen die Verdienste des BERTINI-Preises und seiner Preis Preisträger:innen.


Und derjenigen, die ihn immer gefördert haben: Isabella Vértes-Schütter, Knut Fleckenstein und Ulrich Vielhuf, Michael Batz, Hans-Juergen Fink, Uwe Franke, Michael Magunna, Helfried Schulke, Heidrun Zierahn, Axel Zwingenberger und auch diejenigen, die leider nicht mehr bei uns sind: Andreas Kuschnereit, Karl-Heinz Goetsch und Ralph Giordano.


Ralph Giordano, er ist 2014 verstorben, hat diese jährliche Preisverleihung einmal als seine „biographische Krönung“ und als „Geschenk“ gewürdigt.


Und er hat gesagt: „Wer Hass und Unrecht säht, wer diskriminiert und unterdrückt, wer Schwächere knebelt und malträtiert, der hat mich am Hals!“.


Wenn er konnte, dann kam er immer am 27. Januar hier in das Ernst-Deutsch-Theater, wenn der Bertini-Preis verliehen wurde.


Dann legte er sich seinen roten Schal um den Hals und verneigte sich vor dem Einsatz von den Schülerinnen und Schülern, die ihren „Herzen folgten“, so sagte er.


Alle Bertini-Preisträger:innen tragen deshalb Ralph Giordanos Botschaft in die Welt:

„Lasst euch nicht einschüchtern“.


Vielen Dank.


Datum: Freitag, 27. Januar 2023, 14.00 Uhr
Ort: 
Ernst-Deutsch-Theater