Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Szenischen Lesung „Schwarze Winkel“ anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus

Es gilt das gesprochene Wort!



Sehr geehrte Damen und Herren,

 

im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie zur szenischen Lesung von Michael Batz. Es ist gute und wichtige Tradition, den Opfern des Nationalsozialismus im Großen Festsaal unseres Rathauses zu gedenken. Wir tun dies in der Regel vormittags mit Aufführungen für Schülerinnen und Schülern, abends für geladenes Publikum.

Ich bedanke mich bei allen, die trotz des digitalen Formates jetzt bei uns sind.

 

Meine Damen und Herren,

Auschwitz!

Das war die Hölle, eine fabrikmäßige Vernichtungs- und Mordmaschinerie, Vollstreckungsort der Menschenverachtung, die die Zeit des Nationalsozialismus prägte.

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Dieses Datum legte der frühere Bundespräsident Roman Herzog als nationalen Gedenktag an die NS-Opfer fest.

Seit 26 Jahren erinnern wir uns an diesem Tag besonders an die Frauen, Männer und Kinder, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Sich all diese Opfer vor Augen zu führen, ist ebenso schmerzhaft wie notwendig. Es ist ein Akt des Erinnerns, aber auch ein Beitrag zum Verhindern.

Die Erinnerung an die Hölle von Auschwitz - wie auch an den Verlust von Anstand, Respekt und Menschlichkeit, der jeden Tag der Nazibarbarei prägte, tut ihre Wirkung. Sie sorgt für wache Ohren und Augen gegenüber den Worten und Taten der Wiedergänger und Neonazis von heute. Und die brauchen wir!

Welch beschämender Übergriff auf die Würde der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, welcher Ungeist, wenn sich Bürgerinnen und Bürger unserer demokratisch verfassten Stadt einen Judenstern annähen, um auf den angeblichen Verlust ihrer Individualrechte zu verweisen.

 „Wehret den Anfängen“ sollte heute und an jedem anderen Tag des Jahres als Mahnung vor uns allen stehen.

 

Auch dank der alljährlichen szenischen Lesungen unter der Leitung von Michael Batz lernen wir schmerzvoll jedes Jahr hinzu:

Seine szenischen Lesungen räumen immer wieder aufs Neue mit der Idee auf, wir wüssten mittlerweile alles über die Verbrechen im Zeichen des Hakenkreuzes; wir wären als Bürgerinnen und Bürger auf der Höhe der Erkenntnis, was Täter, Methoden und Opfer der nationalsozialistischen Ideologie angeht. 

Nein, wir sind es nicht. Noch immer nicht.

Für den heutigen Aufklärungsakt, fast 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bin ich Ihnen, lieber Herr Batz, schon jetzt sehr dankbar!

 

Mein Dank gilt im gleichen Maße den Sprecher:innen
Andreas Grötzinger, Rabea Lübbe, Anne Weber und Michael Weber
sowie den Musikern
Edgar Herzog und Jakob Neubauer.

 

Meine Damen und Herren,

die Nationalsozialisten kennzeichneten und hierarchisierten ihre Feinde – zum Beispiel in den Konzentrationslagern: Vom Judenstern, über den roten Winkel für die politischen Widersacher, dem grünen, blauen oder rosanen bis zum schwarzen Winkel für die in ihren Augen „Asozialen“.

Darunter fielen Obdachlose, Bettelnde, Prostituierte, Vagabunden, Alkoholiker:innen oder Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie alle passten nicht in die NS-Ideologie. Sie wurden ausgegrenzt und entmündigt, teilweise zwangssterilisiert.

Nach 1945 blieb den damals sogenannten „Asozialen“ die Anerkennung als Opfer des NS-Regimes und eine Wiedergutmachung lange versagt. Bis vor zwei Jahren.

 

Liebe Gäste,

Jetzt gleich werden die Dokumente, Akten und Zeitungsartikel zu uns sprechen. Wir werden einmal mehr Schicksalswege kennenlernen, die von einer unmenschlichen Ideologie verursacht wurden. So, wie sie sich hier in Hamburg zwischen 1933 und 1945 ereigneten.

 

Meine Damen und Herren,

neben der heutigen Aufführung wird es eine aufgearbeitete Dokumentation geben, die wir den interessierten Schulen und außerschulischen Bildungsträgern sehr gerne zur Verfügung stellen. Sie wird durch digitales Unterrichtsmaterial ergänzt. Denn wie in den vorangegangenen Jahren möchten wir die Schulen in jeder denkbaren Weise dabei unterstützen, die NS-Vergangenheit der Stadt Hamburg zu einem anschaulichen Lehr- und Lernthema zu machen.

 

Meine Damen und Herren,

 „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Dies ist – meine ich – keine Zustandsbeschreibung, sondern ein Dauerauftrag aus unserer Verfassung. Für alle staatlichen Organe, aber auch für jede Bürgerin und jeden Bürger.

Vielen Dank!


Datum: Mittwoch, 26. Januar 2022, 19.00 Uhr
Ort: 
Rathaus, Großer Festsaal (Live-Stream Aufführung)