Antrittsrede der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft bei der konstituierenden Sitzung

Konstituierende Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft


 

Es gilt das gesprochene Wort!


Verehrte Frau Alterspräsidentin,
liebe alte und neue Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,


bereits zum dritten Mal stehe ich nun vor Ihnen als Bürgerschaftspräsidentin. 
Das ist eine große Ehre, und ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich für das Vertrauen.


Ich bin mir der besonderen Verantwortung in diesem Amt bewusst, zumal die Herausforderungen und Ansprüche an die parlamentarische Demokratie gewachsen sind und weiterwachsen werden. 


Meine Damen und Herren,
die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt haben die Messlatte für die Arbeit ihres Parlaments zu Recht hochgelegt. 


Dank der von der Bürgerschaft beschlossenen Regeln zur Transparenz und zur Volksgesetzgebung reden die Hamburgerinnen und Hamburger an vielen Stellen direkt mit. 
Wenn wir unsere Arbeit ordentlich machen wollen, müssen wir sie überzeugen. 


Das werden alle Mitglieder dieses Hauses in den kommenden fünf Jahren spüren, und dem wollen und müssen wir gerecht werden, und das ist gut so.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Hamburg, Deutschland, eigentlich die ganze Welt steckt in einer schweren Krise, die andere, nicht minder wichtige Themen in den Hintergrund drängt – zum Beispiel die Situation der Flüchtlingskinder in Griechenland und anderswo, über die unser Haus zuletzt fast jede Sitzung diskutierte. 


Die Situation unter der Corona-Pandemie ist ernst. Viele Menschen sind krank und etliche bereits gestorben, und es ist keine Schwarzmalerei, festzustellen: 


Das geht noch lange weiter, und das wird noch schlimmer. 


Verehrte Kolleginnen und Kollegen,


die Corona-Pandemie stellt auch für Deutschland und Hamburg wohl eine der größten Belastungsproben seit der Gründung unseres demokratischen Gemeinwesens vor rund 70 Jahren dar. 


Zu Beginn unserer 22. Wahlperiode stehen die Menschen auf der ganzen Welt, die Menschen unseres Landes, unserer Stadt und damit auch die Hamburgische Bürgerschaft vor einer ungeheuren Herausforderung.


Unter solchen Vorzeichen unterscheidet sich leider auch unsere heutige konstituierende Plenarsitzung deutlich von allen bisherigen.

 

Auf die besonderen Umstände hat unsere Alterspräsidentin Dagmar Wiedemann in ihrer Rede bereits hingewiesen. 
Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Fraktionen für die Kooperation. 
Und ich bedanke mich bei meiner Bürgerschaftskanzlei; wie in allen Behörden war auch bei uns Improvisation, Einsatz und Verantwortungsbereitschaft gefragt.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,


die Angst und die Organisation notwendiger Schutzmaßnahmen beherrschen jetzt die Gedanken der Menschen, und bei vielen auch die Sorge um ihre berufliche Existenz. 


Was ist, wenn die Kurzarbeit sehr lange dauert? Wenn ich als Kulturschaffender, als Restaurantbesitzerin oder als Tagesmutter meinen Laden wochen- oder gar monatelang schließen muss? 
Wenn mich als Tellerwäscher zur Zeit keiner braucht?


Eine ganze Reihe von Einschränkungen haben inzwischen unseren Alltag völlig umgekrempelt.


Wer kann, arbeitet von zu Hause. Alle analogen kommerziellen Freizeitvergnügungen fallen aus.


Kurz: Das öffentliche Leben ist in einem bisher nicht gekannten Ausmaß beschränkt, um die Ansteckung mit dem Coronavirus zu verlangsamen.


Dafür zeigen die allermeisten Frauen, Männer und Kinder in unserer Stadt Verständnis, das ist zu spüren. 

Dafür möchte ich mich – auch im Namen des Parlaments – herzlich bedanken.


Und wenn die Vorhersagen der Expertinnen und Experten stimmen: 
Wir würden einen langen Atem brauchen, um das Coronavirus zu besiegen: es sei nicht auszuschließen, dass die Behörden weitere Auflagen erteilen, bei dem einen oder anderen Unmut hervorrufen – 
dann gibt es nur eine Antwort: 


Es ist nicht zu ändern, und niemand sollte so tun, als habe er bessere Lösungen in der Tasche. Gefragt ist jetzt Geschlossenheit und nicht Besserwisserei!


Meine Damen und Herren,
wir können in diesem Haus beschließen, was wir wollen – ohne den aufopfernden Einsatz all jener Menschen, die für unsere Gesundheit und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens da sind, könnten wir nichts ausrichten.


Deshalb gilt schon jetzt mein besonderer Dank, ich darf hoffentlich sagen: 
unser aller Dank, den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Feuerwehrleuten und Rettungssanitätern, den Polizisten und den Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr, den Menschen hinter den Supermarktkassen und vielen, vielen mehr. 


Diese Menschen, meine Damen und Herren, sind die Heldinnen und Helden der aktuellen Situation!



Aber auch mit noch so großem Einsatz wird die Krise nicht zu meistern sein, wenn nicht alle, wirklich: alle!, dabei mitwirken. 


An uns allen liegt es, durch verantwortungsvolles Verhalten dazu beizutragen, dass sich die Pandemie möglichst langsam ausbreitet. 


Hamburg hat ein sehr gutes Gesundheitssystem, sicher eines der besten im Land, aber auch unser System wird nicht ausreichen, wenn sich die Zahl der Hilfsbedürftigen exponentiell erhöht. 


Ich appelliere deswegen neben der Vernunft auch an die Solidarität aller Hamburgerinnen und Hamburger, für deren Hilfsbereitschaft es ja schon so viele Beispiele gibt: 


Helfen Sie Ihren Nachbarn, besonders wenn diese schon älter oder krank sind, erledigen Sie kleine Besorgungen für sie, fragen Sie, ob Sie vom Einkauf etwas mitbringen können. 


Und schließlich appelliere ich an das Vertrauen: 
Lassen Sie uns davon ausgehen, dass alle, die jetzt Entscheidungen treffen, das Beste wollen. 



Meine Damen und Herren, wenn wir nach oder gar vor jeder Entscheidung in der aktuellen Krise erst endlose Debatten führen wollten, wenn jeder immer und überall seinen Senf dazugeben will, dann werden wir eher grandios scheitern. 
Konstruktive Anregungen ja, Genöle – nein.


Es mag Sie irritieren, dass ausgerechnet die Parlamentspräsidentin dies sagt, aber jetzt ist nicht die Stunde der endlosen Debatten, sondern es ist die Zeit des Vertrauens in Expertenwissen und in eine kompetente Verwaltung, die ihr Bestes gibt. 


Und damit meine ich nicht nur den Senat im engeren Sinne, sondern viele Tausende Verwaltungsmitarbeiter, Lehrerinnen, Behördenangestellte, die jeden Tag kreativ sind und sinnvolle Lösungen finden. 


Oder, vereinfacht ausgedrückt: 


In der Not muss man zusammenstehen. Das sollten auch wir hier, unabhängig von unserer politischen Herkunft, in den nächsten Wochen und Monaten unbedingt tun. 


Diese Zeit wird sehr schwer werden – aber gemeinsam können wir die Krise meistern.  
Was notwendig ist, wird entschieden und organisiert, darauf sollen sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können!


Unsere Arbeit soll dabei – trotz aller zu erwartenden Kontroversen – in einer respektvollen, gern hanseatischen Atmosphäre stattfinden: 


Das ist mein Ziel, dazu möchte ich beitragen, und ich werde dabei – wie immer und in besonderer Weise darauf achten, allen Abgeordneten zu ihrem Recht zu verhelfen. 


Entschieden wird in der Demokratie mit Mehrheiten, aber mitreden und kluge Gedanken einbringen, sollen auch Minderheiten. 


Regierungsfraktionen müssen übrigens nach meinem Verständnis auch nicht stets zu allen Senatsentscheidungen Ja sagen. 


Und die Opposition muss nicht immer und überall aus Prinzip dagegen sein. Moderne Demokratie lebt vom Konsens!


Winston Churchill hat einmal gesagt: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“ 


Ich halte dies eher für überholt und sage: Der Kern der parlamentarischen Demokratie ist der Kompromiss, liebe Kolleginnen und Kollegen. 


Meine Damen und Herren,
unsere parlamentarische Arbeit wird nun zunächst etwas auf Sparflamme laufen müssen. 


Insbesondere für die neuen Abgeordneten habe ich noch einen praktischen Tipp: 


Kopieren Sie sich die Präambel unserer Hamburgischen Verfassung und kleben Sie sie an den Spiegel über Ihrem Waschbecken.  


Erstens, weil der Text gewissermaßen die Richtschnur für unser Handeln ist. 


Aber zweitens, wenn Sie ihn zügig laut vorlesen, während Sie sich die Hände waschen, dann brauchen Sie ziemlich genau die 30 Sekunden, die uns die Experten für das Händewaschen empfehlen.


Probieren Sie es aus und bleiben Sie gesund!


Meine Damen und Herren,


ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die aktuelle Bewährungsprobe unseres Zusammenlebens bestehen. Vielleicht führt das alles ja auch dazu, dass wir hinterher fester, geschlossener und solidarischer zusammenstehen. 


Vielen Dank.

  

Datum: Mittwoch, 18. März 2020, ab 13.30 Uhr
Ort: 
Rathaus, Plenarsaal der Bürgerschaft