Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Ausstellungseröffnung „Flucht ins Ungewisse – Hamburger im Exil“

Es gilt das gesprochene Wort!


Lieber Herr Dr. Dittmer,
verehrte Angehörige,
ich begrüße die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften,
die Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Damen und Herren,


im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie – gewissermaßen zusammen mit Herbert Weichmann – sehr herzlich zu unserer Ausstellungseröffnung im Rathaus. 


Der kleine Film über Herbert Weichmann ist ein Teil der Ausstellung, und weitere Exil-Schicksale werden von Hamburger Jugendlichen und jungen Erwachsenen ebenso eindrücklich audiovisuell porträtiert.


Es geht um Verfolgung und Flucht, Unrecht und Menschenwürde. Flucht vor Verfolgung ist ein Thema der Menschheitsgeschichte, seit deren Überlieferung beginnt, also seit tausenden von Jahren. 


Zurzeit, also jetzt, während wir hier sitzen, befinden sich weltweit zwischen 70 und 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Also ungefähr so viele Menschen, wie Deutschland Einwohner hat.


Um Flüchtlinge, bei Erfolg dann Emigrantinnen und Emigranten, geht es bei unserer Ausstellung. 


„Flucht ins Ungewisse“, so der, wie ich finde, treffende Titel, beschreibt sehr anschaulich das Schicksal von rund 10.000 Menschen, die zwischen 1933 und 1939 ins Exil fliehen mussten und mit Hamburg verbunden waren.
Zwei von ihnen waren Elsbeth und Herbert Weichmann, die aus Sicht der damaligen Machthaber gleich zwei Makel in sich vereinten: 
Sie waren Juden und Sozialdemokraten. 


„Wir hatten Angst“, sagte Elsbeth Weichmann in der Rückschau, „aber noch nicht den Mut zur Angst, der Konsequenzen verlangt. 


Über dem Niemandsland abzuspringen, alle Brücken zum bisherigen Leben, zur eigenen Identifikation abzubrechen – das war ein Entschluss, der viel Kraft abverlangte.“


Verehrte Gäste,
ihre Worte zeigen den Konflikt, in dem viele Exilanten während der NS-Zeit steckten. Die meisten konnten – wenn überhaupt – nur das Notdürftigste mitnehmen. 


Im Gepäck befanden sich aber nicht nur die Ängste ums eigene Leben, sondern auch die Sorgen um die Angehörigen, die in der Heimat geblieben waren. Von den menschlichen Entbehrungen, die man ertragen musste, ganz abgesehen.


Das Notdürftigste mitnehmen oder auch nur das nackte Leben, die Angehörigen zurücklassen, die in der Heimat schutzlos der Verfolgung ausgesetzt sind, die Ungewissheit, was einen in der unbekannten Fremde erwartet – so oder so ähnlich beginnen Flüchtlingsschicksale überall auf der Welt.


Im  Film eben konnten wir sehen, wie viele Umwege Herbert und Elsbeth Weichmann in Kauf nehmen mussten, um endlich in Sicherheit zu sein und sich in New York eine neue Existenz aufzubauen.


Verehrte Gäste,
ich schildere diese Einzelheiten und Eindrücke stellvertretend für all jene, die zu der Zeit solche Odysseen und manchmal auch glückliche Zufälle erlebt hatten, und am Ende ihr Leben in die Freiheit retten konnten.  


So wie beim Ehepaar Weichmann, das bei seiner Flucht über Frankreich getrennt worden war und nur zufällig in Sète in Südfrankreich wieder zusammenfand. 


Oder die Begegnung des Ehepaars Weichmann mit Max Brauer, der ebenfalls im New Yorker Exil lebte. 


Der Altonaer Brauer überzeugte den Oberschlesier Weichmann,  bei der Rückkehr aus dem Exil  nach Hamburg zu kommen. 


Das war eine kluge, wegweisende Idee zum Wohle unserer Hansestadt, meine Damen und Herren. 


Bereits 1948 stellte Weichmann bei seiner Ankunft auf dem Hauptbahnhof fest: „Hamburg ist schon nicht mehr eine Stadt der Ruinen für mich. Ich sehe bereits die immanente Schönheit des Stadtbildes, seine Planung und Lage.“

Welch ein Satz angesichts der Trümmer und Ruinen!


Aber der strategisch denkende Herbert Weichmann meinte den Satz sehr ernst, wie wir heute noch überall in Hamburg sehen können.


Als Finanzsenator im zweiten Kabinett Brauer und unter Paul Nevermann, und erst recht als Erster Bürgermeister von 1965 bis 1971 konnte er viele seiner Visionen umsetzen. 


Im Filmbeitrag haben wir gehört, wie sehr seine Ideen – neuer Elbtunnel, Köhlbrandbrücke, Fernsehturm, Burchardkai, Congress Centrum – unsere Stadt bis heute prägen.


Meine Damen und Herren,
die Zuneigung Herbert Weichmanns zu Hamburg war wichtig, aber es war sicher „nur“ seine zweite große Liebe. Die erste war für  Elsbeth reserviert, mit der er 55 Jahre lang verheiratet war. Sie folgte ihrem Mann 1949 nach Hamburg.


Verehrte Gäste,
hinter jedem großen Mann steht angeblich eine starke Frau. Diesem Klischee wurde Elsbeth Weichmann nicht so richtig gerecht (sie stand wohl eher neben ihm) und wollte dies auch nie. 


Elsbeth war vielmehr eine selbstbewusste Frau, die eigene kreative Ideen entwickelte. Ich erinnere zum Beispiel an die Gründung der Verbraucherschutzzentrale in Hamburg oder ihre starke Kulturpolitik als SPD-Abgeordnete in der Bürgerschaft. 


Sie war eine moderne Frau und wohl auch ein Vorbild für viele Menschen.


Drei Räume weiter hängen vor dem Amtszimmer respekteinflößende Porträts der Hamburger Bürgermeister. Eines ist anders: Herbert Weichmann ließ sich gemeinsam mit Elsbeth malen, sie sitzt auf einem Sofa und raucht selbstbewusst eine Zigarette. 


Für alle Männer übrigens, die ein eher traditionelles Frauenbild einforderten, hatte Elsbeth die passende Antwort parat: 
„Jede kluge Frau hat Millionen natürlicher Feinde ... nämlich alle Männer, die nicht so klug sind wie sie selbst.“


Von ihr ging schließlich die Initiative zur Gründung der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung aus, die ein Jahr nach ihrem überraschenden Tod, 1989, ihre Arbeit aufnahm. 


Zum 30-jährigen Bestehen gratuliere ich ganz herzlich. Und nutze sehr gern die Gelegenheit, einmal ausdrücklich der Körber-Stiftung zu danken, die der kleinen Weichmann-Stiftung so ganz unprätentiös, warmherzig und selbstverständlich unter die Arme greift mit dem Sachverstand einer großen Stiftung. 


Sie, Herr Dr. Dittmer, Herr Tetzlaff und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun das, wie ich weiß, aus großer Überzeugung, und das ist ein ganz wunderbares Miteinander. 


Sehr geehrte Damen und Herren,
mit der Ausstellung „Flucht ins Ungewisse – Hamburger im Exil“ erinnern die Hamburgische Bürgerschaft, die Weichmann-Stiftung und die Körber-Stiftung an das Schicksal und Wirken vieler weiterer Persönlichkeiten, die Flucht und Exil überlebt haben.


Einer von ihnen ist der deutsch-französische Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt. 


Aus Schutz vor antisemitischer Verfolgung schickten die Eltern ihren zehnjährigen Sohn 1938 zu Verwandten nach Italien und später nach Frankreich ins Exil. 


Während der deutschen Besatzung in Savoyen musste er sich bei Bergbauern verstecken und litt unter schwerem Heimweh. Seine Mutter überlebte die NS-Zeit nicht, sein Vater starb 1947. Er sah sie nie wieder.


Herr Goldschmidt kann aus gesundheitlichen Gründen heute nicht bei uns sein, aber er hat mich gebeten, einen kurzen Text über seine Beobachtungen des heutigen Deutschlands vorzutragen. Er schreibt:


„Trotz des noch so guten Willens kann das Geschehene nicht rückgängig gemacht werden, wie man es ja leider feststellen kann, es lebt sogar mit voller Wucht wieder auf, trotz aller versuchter Wiedergutmachungen. Die letzten dreißig Jahre waren eine Zeit der Hoffnung und der Beruhigung gewesen.


Die deutsche Bundesrepublik hatte, soweit sie es vermochte, ihr Schicksal als Verpflichtung übernommen und die Hoffnung wurde immer größer, dass eine befreite Verantwortung die Zukunft gestalten würde. 


Der Selbstbefreiungswille war evident und so war es immer eine richtige Freude, das Hamburg der Kindheit wiederzufinden, obgleich 1938 die Heimatwelt auf einmal die verbotene Welt geworden war.“


 Und dann weiter:


„Nun auf einmal steht das überwunden Vermeinte wieder vor der Tür. 


Es ist aber doch zu hoffen, dass der damalige Donner, von dem einst der deutscheste Dichter und Hamburger Einwohner Heinrich Heine sprach, nicht wieder am Anrollen ist, auch wenn schon Bertolt Brecht meinte: ‚Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch.‘“


Verehrte Gäste,
die Worte von Georges-Arthur Goldschmidt, über den Sie in der Ausstellung mehr erfahren können, sind ein eindeutiger Hinweis, dass unsere historische Verantwortung nicht aufhört. 


Deshalb hat die Hamburgische Bürgerschaft beschlossen, einen Runden Tisch einzurichten, einen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen und das Landesprogramm „Hamburg – Stadt mit Courage“ fortsetzen. 
Und wenn wir Möglichkeiten zum Wiederaufbau der von den Nazis vor 80 Jahren verbrannten Synagoge am Bornplatz intensiv prüfen lassen, dann denke ich, dass dies auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens trifft.


Eines kann ich Ihnen jedenfalls versichern, meine sehr geehrten Damen und Herren: 
Wir als demokratische Kräfte werden nicht zulassen, dass die Würde des Menschen wieder mit Füßen getreten wird. Wir müssen Hass und der Intoleranz etwas entgegen stellen, nämlich unsere Solidarität, Empathie und Demokratie.


In diesem Sinne möchte ich mich im Namen der Bürgerschaft der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung und der Körber-Stiftung ganz herzlich danken. 


Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass Ihnen die Ausstellung gefallen wird. 


Bitte sagen  Sie es auch gerne weiter – wir haben ein offenes Rathaus und freuen uns über viele Besucherinnen und Besucher!


Vielen Dank.


Datum: Montag, 11. November 2019,  10.30 Uhr
Ort: Großer Festsaal, Rathaus