Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Szenischen Lesung „Hört damit auf!“

Es gilt das gesprochene Wort!


Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich begrüße die Mitglieder des Konsularischen Korps,
die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften,
die Präsidentinnen und Präsidenten der Hamburger Gerichte,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Senat und Bürgerschaft,
lieber Herr Batz!


Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie sehr herzlich zur szenischen Lesung im Rathaus – vor allem die Gäste, die heute zum ersten Mal hier sind. 


Wir befinden uns im Großen Festsaal, der – wenn Sie sich einmal umblicken – sehr anschaulich die Geschichte unserer Heimatstadt illustriert: 


von der Urlandschaft, der Vorgeschichte bis hin zur Christianisierung und Hamburg als modernem Welthafen.


Als Hamburgerin, Hamburger ist man in der Regel sehr stolz, ein Teil dieser Stadt zu sein. 


Vier Tugenden, die unser Handeln in der Hansestadt auszeichnen sollen, sehen Sie am Portal hinter mir: 


Die Weisheit
die Gerechtigkeit
die Stärke,  
der Fleiß.


Das Rathaus wurde 1897 fertig; diese Bilder bis 1909 gemalt – aber die Hamburger Geschichte ging weiter. Und zur Geschichte von Hamburg gehört eben auch die NS-Zeit von 1933 bis 1945.


Sie steht unausweichlich für die Verbrechen, die in deutschem Namen bei uns begangen wurden – und die einen geradezu sprachlos machen, weil sie unser Vorstellungsvermögen von dem, was Menschen einander antun können, außer Kraft setzen.


Dass wir uns diesem Teil unserer Geschichte stellen, niemals Erinnerung verweigern, gebietet der Respekt vor den Millionen von Menschen, die von den Nazis ermordet wurden.


Deshalb ist es gut und richtig, dass es seit 1996 den offiziellen und seit 2005 auch internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gibt. Es sollte sich also jeder Veranstalter sehr genau überlegen, welche Festivitäten er zukünftig auf den 27. Januar legen möchte. 


Nur – wie begeht man einen solchen Tag, ohne dass das Gedenken schließlich zum Ritual wird?


Meine Damen und Herren,
für die Hamburgische Bürgerschaft steht das Erinnern im Herzen unserer Arbeit. Wenn wir mit den Opfern auch zukünftig einen würdigen Umgang finden möchten, müssen wir uns umso intensiver mit der Geschichte der Aufarbeitung auseinandersetzen.


Daher passt der Titel der heutigen Aufführung sehr gut zum Thema: „Hört damit auf“. Eigentlich steht er für die Sorge, eine Verhandlung gegen NS-Verbrecher gar nicht erst aufzunehmen, wenn sie ohnehin mit Freispruch endet.


Man kann ihn symbolisch auch anders verstehen: In der noch jungen Bundesrepublik gab es kaum mehr Interesse, sich der Vergangenheit zu stellen. Es ging den Menschen um Wirtschaftswachstum, Wohlstand und den Ratenkredit für das Eigenheim. Da wollte man sich nicht mehr auseinandersetzen mit Massenmord, Reparationen und eigener Schuld. Das gehörte eben zur „alten Politik“, von der man nichts mehr wissen wollte.


Und das kam den Verbrechern gerade recht. 


Schließlich habe es doch die Prozesse in Nürnberg oder im Hamburger Curiohaus gegeben, damals nach dem Zweiten Weltkrieg. Da seien die Täter doch alle bestraft worden, hieß es dann.


Einige ja, aber sicher nicht alle!


Es bedurfte einer Reihe zäher, aufgeklärter Juristen, bis die Aufarbeitung der NS-Verbrechen wieder aufgenommen wurde. 


Nehmen Sie den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der von 1963 bis 1965 den Frankfurter Auschwitz-Prozess führte und dabei auch Angehörige und Führer der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers anklagte. Er stritt um eine rechtliche Schlüsselfrage, nämlich: „Auschwitz insgesamt als eine Tat zu werten, … wodurch jeder, der beim Lagerpersonal dort gewesen war, auch grundsätzlich an der Gesamttat … beteiligt war“.


Der Prozess sorgte für großes Aufsehen und zwang die Deutschen dazu, sich endlich stärker mit ihrer NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Widerwillig zwar, aber immerhin.


Im Zuge dieser Entwicklungen entstand dann Anfang der 1970er-Jahre in der Hamburger Staatsanwaltschaft die NSG-Abteilung, die sich mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen beschäftigte. Als „Leichenzähler“ verspottet, nahm die NSG ihre mühsame Arbeit auf, darunter zwei ehemalige Oberstaatsanwälte, die heute Abend zu Gast sind.


Sehr geehrter Herr Dr. Löhr, sehr geehrter Herr Kuhlmann, seien Sie herzlich willkommen! 


Meine Damen und Herren,
Sie werden in der szenischen Lesung sehr viel erfahren über das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit sowie die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. 


Zum Beispiel geht es um Lager-Kommandanten, unter deren Führung hunderttausende von Menschen ermordet wurden, und die trotzdem Freisprüche erhielten oder nur zwölf Jahre, weil sie „verstrickt“ gewesen seien.


Wir werden hören, warum.


Auch wenn viele dieser Prozesse vor mehr als vier Jahrzehnten geführt wurden, gehören sie damit der Vergangenheit an? Nein! Selbst heute noch werden Menschen für ihre NS-Verbrechen verurteilt. 


Meine Damen und Herren,
seit 20 Jahren führt unser Landesparlament die szenischen Lesungen im Rathaus auf. Es ist also ein stilles Jubiläum, das wir ohne die verdienstvolle Arbeit von Ihnen, lieber Michael Batz, gar nicht begehen könnten!


Immer wieder sind wir erstaunt, überrascht und ergriffen, welche kaum oder gar nicht bekannten Themen Sie finden und uns präsentieren. Damit leisten Sie einen unendlich wichtigen Beitrag in der Aufarbeitung unserer Stadthistorie im Nationalsozialismus. Dafür danke ich Ihnen sehr im Namen unseres Landesparlaments.


Verehrte Gäste, 
die heutige Abendaufführung wird erstmals live im Internet übertragen und später auf unserer Website veröffentlicht. Wir möchten, dass möglichst viele Menschen einen Einblick bekommen, wie sehr ihre Heimatstadt in NS-Verbrechen verstrickt war. Und warum es solange gebraucht hat, die Täter zu verfolgen und zu verurteilen. Und den Zuschauern vor allem eines mit auf den Weg zu geben: Es gibt Schuld, die nicht verjährt!


Bitte begrüßen Sie mit mir die Schauspielerinnen Jantje Billker und Isabella Vértes-Schütter, die Schauspieler Tommaso Cacciapuoti und Andreas Grötzinger. Für die musikalische Begleitung sorgen Jakob Neubauer und Edgar Herzog.


Vielen  Dank!

Datum: 25. Januar um 18 Uhr
Ort: Rathaus, Großer Festsaal