Die Hamburgische Bürgerschaft blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Schriftlich wird sie zum ersten Mal im Jahr 1410 erwähnt, also lange bevor Martin Luther seine Thesen veröffentlichte, Christoph Kolumbus nach Amerika aufbrach oder Katharina die Große Kaiserin von Russland wurde. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war der Vorläufer des heutigen Landesparlaments eine Versammlung der Hamburger Grundeigentümer. Gemeinsam mit dem Hamburger Rat – so nannte sich die Stadtregierung bis 1860 – lenkten diese Männer die Geschicke der Hansestadt.
Langer Weg zur Demokratie
Auch nach der Deutschen Revolution von 1848/1849 und der neuen Hamburger Verfassung von 1860, nach der zum ersten Mal ein Teil der Abgeordneten „frei und allgemein“ gewählt wurde, konnten die vermögenden Bürger ihren Einfluss noch einige Zeit sichern. Die Hamburger Grundeigentümer durften nach der neuen Verfassung weiterhin 48 der insgesamt 192 Bürgerschaftsabgeordneten stellen. Erst das Ende des Ersten Weltkriegs sorgte für eine demokratische Verfassung im heutigen Sinne: Seit 1919 konnten alle volljährigen Hamburger:innen die Bürgerschaft wählen und damit auch Senat und Bürgermeister mitbestimmen. Trotz des allgemeinen Wahlrechts waren noch bis 1978 weniger als 10 Prozent der Abgeordneten Frauen.
Geschichte in Bildern: die Bürgerschaft seit 1945
Die wichtigste Aufgabe der Nachkriegszeit
In der NS-Zeit war die Hamburgische Bürgerschaft von den Nationalsozialisten gleichgeschaltet, die Gewaltenteilung aufgelöst worden. Nach dem Krieg machte es sich die britische Militärregierung zu einer ihrer ersten Aufgaben, Parlament und Demokratie in Hamburg neu zu begründen. Ab 1946 bestimmten zunächst die von britischen Alliierten ernannten Mitglieder der Bürgerschaft und anschließend die gewählten Abgeordneten der Bürgerschaft über Hamburgs Politik. Inzwischen ist die Bürgerschaft in der 22. Wahlperiode und wählt den Ersten Bürgermeister beziehungsweise die Erste Bürgermeisterin, bestätigt den Senat, erlässt Gesetze, kontrolliert die Regierung und überwacht den Haushalt.
Eine ausführliche Übersicht der Geschichte der Hamburgischen Bürgerschaft finden Sie hier zum Ausklappen:
Ausführliche Übersicht der Geschichte der Hamburgischen Bürgerschaft zum Ausklappen:
1410 wird die Hamburgische Bürgerschaft zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Im sogenannten Ersten Rezess legt der „Hamburger Rat“ fest, welche Kontroll- und Mitbestimmungsrechte die Bürgerschaft hat. Die Bürgerschaft umfasst zu diesem Zeitpunkt alle Hamburger Männer, die über das Bürgerrecht verfügen. Dieses erhalten sie, wenn sie den „Bürgereid“ schwören, das Bürgergeld zahlen und weitere kostspielige Pflichten innerhalb der Stadt übernehmen. Besonders die Grundbesitzer der Hansestadt bestimmen die Entscheidungen der Bürgerschaft – ihre Versammlungen werden als „Erbgesessene Bürgerschaft“ bezeichnet.
1529 werden die Rechte und Pflichten von Bürgerschaft und Rat im „Langen Rezess“, einer Art „Verfassung“, erneut geregelt: Mit der Reformation war auch in die politischen Machtverhältnisse der Stadt Bewegung gekommen. Der Rat muss von nun an vor der Bürgerschaft Rechenschaft über seine Entscheidungen ablegen. Zudem entscheidet die Bürgerschaft nun mit über alle Belange des Stadtregiments, also der Verteidigung des Stadtstaats.
1712 bekräftigt der „Hauptrezess“ die gemeinsame Regierung durch Rat und Erbgesessene Bürgerschaft, reduziert allerdings den Kreis der mitspracheberechtigten Bürger auf wohlhabende Grundeigentümer. Der neuen Verfassung waren mehrere Jahre dauernde Unruhen vorausgegangen.
1848/1849 wählen auch die Hamburger im Zuge der Deutschen Revolution eine verfassungsgebende Versammlung. Nach zehn Jahren zäher Verhandlungen beschließt die Versammlung eine neue Verfassung.
1859 besteht die Hamburgische Bürgerschaft zum ersten Mal zur Hälfte aus Abgeordneten, die in „allgemeinen Wahlen“ gewählt werden. Die andere Hälfte der Abgeordneten sind Grundeigentümer und sogenannte Notabeln, sie bekleiden Ehrenämter.
1860 tritt die neue Verfassung in Kraft. Wichtigste Neuerung neben dem Wahlrecht: Die Bürgerschaft wählt seit 1860 den Senat, wie die Regierung nun heißt, und den Bürgermeister.
Die Jahre von 1860 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 sind geprägt vom Kampf der wohlhabenden Hamburger:innen gegen den politischen Einfluss der besitzlosen Einwohner:innen, insbesondere der Arbeiterschaft. Mehrere Verfassungs- und Wahlrechtsreformen versuchen ihren Einfluss zu beschränken.
1901 zieht dennoch Otto Stolten als erster sozialdemokratischer Abgeordneter in die Bürgerschaft ein.
1904 stellt die SPD bereits 13 Abgeordnete.
1906 will der Senat deswegen das Klassenwahlrecht weiter verschärfen. Als Reaktion ruft die SPD zum ersten politischen Generalstreik in Deutschland auf. Rund 80.000 Arbeiter:innen aus Fabriken, Werften und Baustellen ziehen am 17. Januar 1906 gegen den „Wahlrechtsraub“ auf die Straßen, es kommt zu blutigen Unruhen. Trotzdem beschließt die Bürgerschaft Ende Januar das neue Wahlrecht.
1918 beseitigt die Novemberrevolution auch in Hamburg die Überreste der ständischen Politik, also die Privilegien für Grundbesitzer und Wohlhabende.
Am 16. März 1919 findet in Hamburg die erste allgemeine und gleiche Wahl statt, auch Frauen können nun wählen und sich in die Bürgerschaft wählen lassen. Die SPD erringt mit 50,4 Prozent die absolute Mehrheit.
1921 tritt die neue, von der Bürgerschaft erarbeitete Verfassung in Kraft.
Ende der 1920er-Jahre ziehen die ersten nationalsozialistischen Abgeordneten in die Hamburgische Bürgerschaft ein.
1932 wird die NSDAP zur stärksten Fraktion in der Bürgerschaft.
Am 5. März 1933 besetzen SA und SS das Rathaus, kommunistische Abgeordnete werden verhaftet, die Nationalsozialisten ergreifen die Macht über die Bürgerschaft; sie wird gleichgeschaltet. Die letzten Sitzungen finden im Mai und Juni 1933 statt.
Am 14. Oktober 1933 wird die Bürgerschaft so wie alle anderen deutschen Landesparlamente aufgelöst, ihre Funktionen werden auf die Hitler-Regierung übertragen. Alle Parteien außer der NSDAP sind inzwischen verboten. Es ist das Ende der parlamentarischen Demokratie bis 1946.
Im Rathaus erinnert eine Gedenktafel an die Abgeordneten, die während der NS-Zeit ermordet wurden. Vor dem Rathaus erinnern 20 Stolpersteine an die Abgeordneten, die Opfer totalitärer Verfolgung wurden.
Nach der Kapitulation Hamburgs am 3. Mai 1945 gehört die Stadt zur britischen Besatzungszone. Die britische Militärregierung setzt den parteilosen Rudolf Petersen und den Sozialdemokraten Adolph Schönfelder als Bürgermeister ein.
Im Februar 1946 ernennen die Besatzer eine Bürgerschaft mit 81 Mitgliedern, die im Parlament einen Querschnitt der Hamburger Bevölkerung widerspiegeln sollen. Ihr Auftrag ist zum einen, die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Heizmaterial zu versorgen, zum anderen soll sie eine neue Verfassung erarbeiten.
Am 13. Oktober 1946, fast genau 13 Jahre nach der Auflösung des Parlaments durch die Nationalsozialisten, wählen die Hamburger:innen eine neue Bürgerschaft. Wahlsieger ist mit 43,1 Prozent der Stimmen die SPD.
Am 30. Oktober 1946 tritt die erste frei gewählte Bürgerschaft der Hansestadt Hamburg nach den Jahren der Nazi-Diktatur zusammen. Adolph Schönfelder wird Bürgerschaftspräsident, die SPD-Mehrheit stellt mit Max Brauer auch den ersten Bürgermeister der Nachkriegszeit. Mit Paula Karpinski (SPD) ist 1946 die erste Frau Mitglied des Hamburger Senats.
1949 erlässt die Bürgerschaft ein neues, kombiniertes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht. In der folgenden Wahl gewinnt die SPD die absolute Mehrheit.
Die wichtigste Aufgabe der zweiten gewählten Bürgerschaft ist es, eine neue Verfassung für die Stadt zu erarbeiten. Fast vier Jahre lang wird um die Inhalte gerungen. Am 6. Juni 1952 verabschiedet das Hamburger Landesparlament die endgültige Version.
Zur Wahl 1953 schließen sich die konservativ-liberalen Fraktionen zum „Hamburger Block“ zusammen und können so gemeinsam die SPD schlagen, obwohl die Sozialdemokraten weiterhin die stärkste Fraktion stellen.
Mit dem neuen Wahlgesetz von 1956 geht die Bürgerschaft zum reinen Verhältniswahlrecht mit Fünfprozentklausel über.
Von 1957 bis 2001 stellt die SPD den Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg. Sie regiert teils mit absoluter Mehrheit, teils mit dem Koalitionspartner FDP, von 1993 bis 1997 mit der einmalig ins Parlament gewählten STATT Partei.
Als erstes Landesparlament in Deutschland schreibt die Bürgerschaft 1971 die Rechte der Opposition in die Landesverfassung. Damit ist ihre wichtige Rolle als Kritikerin der Regierungsmehrheit und politische Alternative besonders geschützt. Außerdem sind nach der Verfassungsänderung Bürgerschaftsmandat und Senatorenposten nicht mehr vereinbar.
1982 findet mit der GAL (Grün-Alternative Liste) eine neue Partei den Weg ins Hamburger Parlament: neun Abgeordnete ziehen mit 7,7 Prozent der Stimmen als vierte Partei neben SPD, CDU und FDP in die Bürgerschaft ein. Die grünen Abgeordneten bringen neue Themen in die Bürgerschaft und fallen mit zahlreichen Aktionen auf. 1986 tritt die GAL zum Beispiel mit einer reinen Frauenliste zur Bürgerschaftswahl an, um auf das unausgeglichene Geschlechterverhältnis in der Politik aufmerksam zu machen.
1987 wird Elisabeth Kiausch als erste Frau zur Bürgerschaftspräsidentin gewählt. Damit ist sie auch die erste Frau an der Spitze eines deutschen Landesparlamentes.
1991 – direkt nach der Bürgerschaftswahl – zieht eine Gruppe von CDU-Mitgliedern vor das Hamburgische Verfassungsgericht. Sie zweifeln die Rechtmäßigkeit der Bürgerschaftswahl an. Aus ihrer Sicht hatte die CDU bei der Aufstellung von Kandidat:innen gegen Wahlrechtsgrundsätze verstoßen. Die Richter:innen des höchsten Hamburger Gerichts geben den Kläger:innen recht.
1993 kommt es daraufhin zu Neuwahlen und die einstmaligen Kläger:innen treten mit der neu gegründeten STATT Partei an. Diese erreicht 5,6 Prozent und zieht mit acht Abgeordneten in die Bürgerschaft ein. Vier Jahre später scheitert die STATT Partei an der Fünfprozenthürde.
1996 stimmt die Bürgerschaft für die bisher umfangreichste Änderung der Hamburgischen Verfassung. Über 50 Artikel werden angepasst. Neu ist seitdem die Volksgesetzgebung, die seither zu zahlreichen Volksinitiativen und -begehren zu verschiedenen Themen wie etwa Bildung und Schulen, Energienetze, Wohnraum, Krankenhäusern oder Wahlrecht genutzt wird. Eine weitere Neuerung ist 1996 die Richtlinienkompetenz der Ersten Bürgermeisterin oder des Ersten Bürgermeisters gegenüber dem Senat, außerdem wird sie oder er seit der folgenden Wahl 1997 direkt von der Bürgerschaft gewählt.
Die neu gegründete Partei von Richter Ronald Schill schafft 2001 den Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft. Aus dem Stand erringt die Schill-Partei 19,4 Prozent der Stimmen. Gemeinsam mit CDU und FDP schließt die rechtspopulistische Protestpartei eine Regierungskoalition, die 2003 bereits wieder zerbricht. Bei den folgenden Neuwahlen zieht die Schill-Partei nicht mehr in die Bürgerschaft ein, die CDU erringt die absolute Mehrheit.
Nach der Wahl 2008 bilden CDU und GRÜNE die erste schwarz-grüne Regierung auf Landesebene.
Mindestlohn, Rekommunalisierung und Bildung – mit diesen Schwerpunktthemen kann die Partei DIE LINKE bei der Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 mit 6,4 Prozent der Stimmen ins Landesparlament einziehen. Anders als die rechtspopulistischen Vorgänger aus den 1990er- und frühen 2000er-Jahren kann sich DIE LINKE im Landesparlament etablieren und zieht seitdem bei allen folgenden Wahlen in die Bürgerschaft ein.
Mit einer Verfassungsänderung 2008 werden Volksentscheide für Bürgerschaft und Senat verbindlich.
2009 wird das Wahlrecht zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen geändert. Die Wähler:innen können seitdem auf zwei Wahlzetteln bis zu zehn Stimmen an Kandidierende und Parteien vergeben: fünf für den Wahlkreis und fünf für die Landesliste. Seitdem liegen auch die Termine von Bürgerschafts- und Bezirkswahlen nicht mehr an einem Datum, nun wählen die Hamburger:innen zum Termin der Europawahlen gleichzeitig die Bezirksversammlungen und an einem zweiten Termin die Abgeordneten für die Bürgerschaft. Die Änderungen werden mit der Volksinitiative „Mehr Demokratie – Ein faires Wahlrecht für Hamburg“ gemeinsam erarbeitet.
2011 kann die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz die absolute Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft gewinnen, nachdem zuvor die schwarz-grüne Koalition zusammengebrochen und die Legislaturperiode vorzeitig beendet worden war.
Seit 2012 ist die Schuldenbremse in der Hamburgischen Verfassung verankert.
Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg schaffen es bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 sechs Fraktionen in das Landesparlament. Neu hinzu kommt die Alternative für Deutschland (AfD). Mit den Themenschwerpunkten innere Sicherheit, Zuwanderung und Bildungspolitik kann die AfD 6,1 Prozent der Stimmen holen. Bei der Bürgerschaftswahl 2020 zieht die Partei mit 5,3 Prozent der Stimmen erneut in die Bürgerschaft ein.
Seit 2015 können in Hamburg bei den Bürgerschaftswahlen alle Wahlberechtigten bereits ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben, zudem werden die Abgeordneten der Bürgerschaft für fünf statt für vier Jahre gewählt. Außerdem kann die Bürgerschaft in einem sogenannten Bürgerschaftsreferendum die Bevölkerung über ein Thema abstimmen lassen. Diese neue Möglichkeit wird 2015 für die Abstimmung über eine Olympia-Bewerbung genutzt, eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten entscheidet sich gegen die Spiele.
Bei der Wahl im Jahr 2020 scheitert die FDP an der Fünfprozenthürde. Lediglich eine Abgeordnete kann über ein Direktmandat der Wahlkreisliste einziehen.
Im März 2020 wird die Bürgerschaft dann mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: Die Corona-Pandemie erreicht Deutschland und es stellt sich die Frage, wie die Bürgerschaft in Pandemiezeiten handlungsfähig bleiben kann. Videokonferenzen statt Ausschusssitzungen in Präsenz, weniger Anwesende bei den Bürgerschaftssitzungen und ein Umzug aus dem Plenarsaal in den Großen Festsaal sind nur einige der wirksamen Maßnahmen, die in den nächsten zweieinhalb Jahren umgesetzt werden. Zudem wird ein Sonderausschuss zur Bewältigung der Corona-Krise eingerichtet. Später übernimmt der Verfassungs- und Bezirksausschuss die Federführung bei der Corona-Thematik. So wird eine intensive parlamentarische Beteiligung an den Maßnahmen der Pandemiebekämpfung sichergestellt.
Seit 2020 ist der Klimaschutz als Ziel in der Hamburgischen Verfassung verankert.
Im Herbst 2022 feiern Bürgerschaft und Senat gemeinsam mit den Hamburger:innen das 125-jährige Bestehen des Hamburger Rathauses. Die Bürgerschaft entscheidet, dass der 8. Mai ab 2023 offizieller Gedenktag in Hamburg ist.
2023 entscheidet die Bürgerschaft mehrheitlich, den Einsatz gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Staatsziel in die Präambel der Verfassung aufzunehmen. Eine weitere Verfassungsänderung geht auf eine Einigung mit der Volksinitiative „Keine Profite mit Boden und Miete“ zurück: Die Verfassung verpflichtet die Stadt nun dazu, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten.