Ansprache zur Ausstellungseröffnung der Curiohaus-Prozesse von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte Frau Doyenne,
sehr geehrter Herr Landesrabbiner! 
Ich begrüße die Kuratoren der Ausstellung, Frau Beßmann und Herrn Dr. Möller.
Es freut mich besonders, dass auch Sie, lieber Herr Händler, heute zu uns sprechen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bürgerschaft und Senat!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!


„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht“, schworen die Überlebenden des KZ Buchenwald nach ihrer Rettung. Sie haben sich sicher nicht vorgestellt, dass dies ein so langer und zäher Kampf werden würde. 


Meine Damen und Herren, ich darf Sie im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft herzlich willkommen heißen zur Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme hier im Hamburger Rathaus.

 

Der Schwur der Lagerinsassen drückt eine tiefe Sehnsucht der ehemaligen Gefangenen nach einer Strafverfolgung der Täter aus. Ich denke, es ging ihnen dabei nicht nur um Bestrafung, um Vergeltung oder gar Wiedergutmachung. Jenseits aller juristischen Kategorien wollten sie den Ermordeten wie den Überlebenden die Würde zurückgeben, die man ihnen genommen hatte. 


Das ist ein zentrales Anliegen, das auch die Hamburgische Bürgerschaft verfolgt und deshalb jedes Jahr anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus zur Ausstellungseröffnung und nächste Woche zur szenischen Lesung einlädt. Uns geht es darum, den Blick auf die Opfer zu richten und ihnen Gesichter zu geben – auch in unserer Heimatstadt. 


Der Massenmord an fast 50.000 Menschen, die in den Lagern des KZ Neuengamme drangsaliert, geschunden, gequält, gefoltert und getötet wurden, ist auch 70 Jahre danach kaum in Worte zu fassen. Mit der neuen Ausstellung und dem reichhaltigen Rahmenprogramm gibt uns die Gedenkstätte wieder neue Einblicke in dieses menschenverachtende System des NS-Terrors und die Zeit danach. 


Das Curiohaus in Hamburg war von 1945 bis 1949 der zentrale Ort der alliierten Rechtsprechung in der britischen Zone. Die beeindruckende Erkenntnis der Ausstellung ist, dass es nicht allein um die Gräueltaten der SS-Angehörigen ging, die im Hauptprozess zum KZ Neuengamme geahndet wurden. Verhandelt wurden auch Fälle wie die Lynchjustiz an britischen Piloten oder die Misshandlung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.

 

In einem besonderen weiteren Prozess, dem sich der Hamburger Theatermacher Michael Batz am nächsten Donnerstag bei unseren szenischen Lesungen noch ausführlich widmet, saßen die Geschäftsführer der Hamburger Firma „Tesch & Stabenow“ auf der Anklagebank. Sie wurden zum Tode verurteilt, weil sie „Zyklon B“ an Konzentrationslager geliefert hatten, obwohl ihnen bekannt war, dass die SS das Giftgas dort zum Massenmord  einsetzte.


Es blieben die einzigen Unternehmer, die in den westlichen Besatzungszonen wegen ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen hingerichtet wurden. Zur Wahrheit, die die Ausstellung so eindrucksvoll  darstellt, gehört auch, dass das Interesse an einer Strafverfolgung in der jungen Bundesrepublik der 1950-er Jahre schnell erlahmte und viele Verfahren im Sande verliefen.


Das führte nicht etwa zu einem Aufschrei – Anfang der 1950er-Jahre gab es in großen Teilen der Gesellschaft und der Parteien sowie der Kirchen Solidaritätsbekundungen mit den als Kriegsverurteilten bezeichneten Inhaftierten.


Die Westalliierten, die Wiederbewaffnung im Auge, zeigten sich entgegenkommend und entließen bis 1958 alle ihre Strafgefangenen. Der weiteren Aufarbeitung hat das sicherlich nicht gedient. Eine konsequente Strafverfolgung von NS-Verbrechen fand in der Bundesrepublik jahrzehntelang nicht statt. Ein Sonderstrafrecht für NS-Verbrechen wurde abgelehnt.


Dass die Mitwirkung an einem Vernichtungsprogramm zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord führt, auch wenn keine konkreten Einzeltaten nachgewiesen werden können, war zwar die Rechtsauffassung der Alliierten gewesen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis deutsche Richter auch so entschieden.


Ich danke Ihnen, Herr Dr. Garbe, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der KZ-Gedenkstätte Neuengamme für Ihre unermüdliche Forschungs- und Bildungsarbeit. Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Möller, und Ihnen, Frau Beßmann, danke ich für diese Ausstellung, die Sie als Kuratoren in akribischer Archivarbeit recherchiert und zusammengestellt haben. 


Unsere Anerkennung verdienen auch Sie, sehr geehrter Herr Händler. Sie werden uns anschließend noch vom Schicksal Ihres Vaters Joseph berichten, der vier Jahre im KZ-Neuengamme inhaftiert gewesen war und als Zeuge vor dem Militärgericht aussagte.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

unsere Aufgabe ist es, das Schicksal dieser Opfer als Mahnung zu begreifen, so wie es Menschen wie Joseph Händler stets gefordert haben. Dass es welche gibt, die das „dämliche Bewältigungspolitik“ nennen, und fordern, die Geschichte  neu zu schreiben, muss uns beschämen. Es bestärkt uns aber darin, dass wir überhaupt nicht nachlassen dürfen in der Arbeit gegen das Vergessen und für das Erinnern. Im Gegenteil. 


Und wir müssen erklären, dass es gefährlich für unsere Demokratie ist, welchen, die so etwas sagen, hinterherzulaufen und sie in deutsche Parlamente zu wählen.    


Auch das Urteil zum NPD-Verbot wird uns von einem nicht abbringen: Wir werden weiterhin allen Demagogen entschlossen gegenübertreten, die versuchen, sich der gleichen Instrumente zu bedienen, die die Nationalsozialisten einsetzten. Populismus, Rassismus, Ausgrenzung und Hass haben in unserer pluralistischen Gesellschaft keinen Platz – nicht auf der Straße, nicht im Internet und schon gar nicht auf Parteitagen.  


Dies immer wieder auch nachfolgenden Generationen zu vermitteln, ist die Verpflichtung, die aus unserer Geschichte erwächst. Das sind wir den Opfern schuldig. 


Vielen Dank! 


Datum: 19. Januar 2017, 11.00 Uhr
Ort: Rathaus, Kaisersaal