Gedenkworte der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, Carola Veit, zu Ehren des verstorbenen Ersten Bürgermeisters a. D. der Freien und Hansestadt Hamburg, Henning Voscherau

Es gilt das gesprochene Wort!


Meine sehr verehrten Damen und Herren!


„Frage nicht, was dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst“ – der Satz hätte auch von Henning Voscherau stammen können.


Er ist heute vor zwei Wochen verstorben, und wir trauern um einen erfolgreichen Bürgermeister und einen gewichtigen, langjährigen Fraktionsvorsitzenden, der das Wohl unserer Vaterstadt stets an die erste Stelle seines politischen und persönlichen Handelns gestellt hat.


Nicht Ruhm, Ehre und persönliche Bereicherung standen für ihn im Vordergrund seines Handelns, sondern stets das Wohl und Wehe seiner – unserer – Vaterstadt. Deshalb schmerzt uns dieser Verlust, weit über die Parteigrenzen hinweg.


Hier vorn war sein Platz in diesem Hause. Naturgemäß hat er dort für Positionen der sozialdemokratischen Sache gestritten und Mehrheiten organisiert, wo es erforderlich war. Das bringt der Job eines Fraktionsvorsitzenden der Mehrheitsfraktion mit sich.


Aber er hat beileibe nicht alles hingenommen, wenn er es für falsch hielt, und er war wohl der bisher einzige Fraktionsvorsitzende einer Regierungsfraktion, der sogar einen PUA gegen den eigenen Senat durchgesetzt hat, weil er Informationen darüber hatte, dass bei der Stadtreinigung damals nicht alles mit rechten Dingen zuging. Das hat es vor und nach ihm bisher nie wieder gegeben.


Henning Voscherau war als Fraktionsvorsitzender ein entschiedener Vertreter der Gewaltenteilung. Die Judikative war sein täglich Brot als Notar, er respektierte sie, auch wenn er sich manchmal über die Entscheidungen der Gerichte die Haare raufte.


Den Senat, die zweite Gewalt im Staat, sah er oft kritisch. Und die Rolle der ersten Gewalt, des von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Parlaments, verteidigte er als SPD-Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender notfalls mit Zähnen und Klauen. Darauf gründet sich der Respekt, den ihm durchaus auch Vertreter der anderen Parteien entgegenbrachten. Das galt auch, nachdem er Bürgermeister geworden war.


Ja, es stimmt, er hat damals auch richtungsweisende Entscheidungen ohne vorherige Parlamentsbeteiligung eingeleitet – was heute, in Zeiten größtmöglicher Transparenz und Beteiligung vielleicht gar nicht mehr so möglich wäre. Die Entwicklung der Hafencity zum Beispiel, eine Idee, die natürlich auch noch andere Väter hatte; aber Henning Voscherau hat die Voraussetzungen geschaffen, dieses neue Stadtviertel auch wirklich zu bauen.


Voscherau hatte Visionen, und er hat sie umgesetzt. Hafencity, Hafenerweiterung in Altenwerder, der gewaltige Ausbau von Airbus in Finkenwerder – das sind nur Beispiele.


Neben diesen vorgeblich „großen“ Themen waren ihm stets auch die kleinen wichtig, übrigens auch die, die er nicht selbst entwickelt hatte. In seiner Zeit als Bürgermeister wurde zum Beispiel in Hamburg die „verlässliche Halbtagsgrundschule“ umgesetzt – ein Modell, das später überall in der Republik kopiert wurde.


Dass er versuchte, stets möglichst alles genau und haarklein selbst zu eruieren, statt sich auf sogenannte Fachleute zu verlassen, bis zum Rand der völligen Erschöpfung, das ist ja sozusagen Legende. Man konnte dieser Tage wider nachlesen, dass zu seiner Zeit im Rathaus oft noch nach Mitternacht das Licht brannte, weil der Chef Akten studierte. Eine Haltung, die er im Übrigen auch seinem Umfeld dringend empfahl.


Vielen meiner Generation war – und bleibt – Henning Voscherau ein Vorbild. Und ich glaube, wir können ihm gemeinsam Respekt und Anerkennung erweisen für das, was er für unsere Vaterstadt getan hat.


Bitte lassen Sie uns einen Moment im Andenken an Henning Voscherau schweigen.

 

[Schweigeminute]

Ich danke Ihnen.


Ort: Plenarsaal des Hamburger Rathauses