„Aufrechte Demokraten lassen sich nicht einschüchtern“: Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit über Hasstiraden gegen Abgeordnete des Landesparlaments

Es gilt das gesprochene Wort!


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,


die meisten von uns sind oft und leider immer häufiger verbalen Attacken ausgesetzt, die bei weitem über das hinausgehen, was normaler bürgerlicher Anstand so eben noch tolerieren ließe. Das ist nicht neu, und wir sind ja auch nicht zimperlich: Es gehört seit jeher zu unserer Arbeit als Politikerinnen und Politikern, im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen und harte Kritik einzustecken. Aber das, was einige von uns in den vergangenen Monaten ertragen mussten, überschreitet jede Grenze.


Es ist unsere Aufgabe, diesen unverhohlenen Drohungen, diesen Hasstiraden etwas entgegen zu setzen. Und zwar in dem Rahmen, den wir uns selbst durch Recht und Gesetz gegeben haben.


Meine Damen und Herren,

seit 1946, seit 70 Jahren, gibt es in Hamburg wieder eine echte parlamentarische Demokratie.


Wir Abgeordneten werden in dieses Hohe Haus gewählt, um die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs zu vertreten. Neu ist, dass dieses Prinzip der repräsentativen Demokratie immer wieder in Frage gestellt wird. Die Menschen in unserer Stadt erwarten von uns Antworten auf die drängendsten, aktuellen Fragen.


Gleichzeitig spüren diejenigen Rückenwind, die uns mit plumpen Parolen vorgaukeln wollen, dass die Realität schwarz oder weiß ist, und dass es für jedes noch so komplexe Thema radikale Lösungen gibt.


Das alles suggeriert, dass wir als Politikerinnen und Politiker nicht willens oder in der Lage wären, Probleme anzupacken und zu handeln.


Dabei wird dann gern unterstellt, wir gewählten Abgeordneten verträten nicht die Meinung der Wähler, seien vor allem auf unseren eigenen Vorteil bedacht und wären eigentlich überhaupt Teil eines Systems, das darauf ausgelegt sei, die Meinung des sogenannten „normalen“ Volkes zu unterdrücken.


Das System an sich, meine Damen und Herren, und wir als Teil davon werden verantwortlich gemacht für alles Schlechte in der Welt. Das hat vielleicht Tradition, aber keine, auf die irgendjemand stolz sein sollte.


Man muss sich an dieser Stelle natürlich fragen, woher das kommt. Ja, vielleicht wird den Menschen auch allzu oft ein solches Bild von uns Abgeordneten vermittelt, das dazu führt, dass manche uns durch die Bank für unfähig, dumm, verlogen und im übrigen faul und bestechlich finden?


Und dabei tun ein Übriges die sogenannten „social medias“. Irgendwer veröffentlicht ein Gerücht, Freunde kommentieren und teilen das, und in Minuten oder Stunden haben wir einen allgemeinen „Shitstorm“, bei dem so menschenverachtend gekeilt wird, dass man sich ernsthaft fragen muss, was eigentlich passiert ist, dass Menschen derartige Gedanken nicht nur heimlich haben, sondern sie geradezu herausbrüllen.

 

Meine Damen und Herren,

die allermeisten von uns stützen sich auf viele tausend Stimmen von Wählerinnen und Wählern. In den modernen Netzwerken diskutieren meist wenige hundert Menschen, wenn es denn überhaupt so viele sind. Lassen Sie uns nicht den dummen Fehler machen, von ein paar „Facebook“-Kommentaren auf die Meinung „der“ Hamburgerinnen und Hamburger zu schließen. Das gilt erst recht für Beschimpfungen und Bedrohungen.


Dieses Haus hat das alles hinter sich. Ich habe vor drei Jahren hier im Beisein von Bundestagspräsident Lammert deutlich gemacht, wie es in einem Plenarsaal mit Knobelbecherschlägern im  Saal und pöbelndem Volk auf der Tribüne zugegangen sein mag.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

aufrechte Demokraten lassen sich nicht einschüchtern, wir alle tun das nicht!

Hunderttausende von Wählerinnen und Wählern haben uns gemeinsam beauftragt, und wir erfüllen diese Aufgabe.


Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten zu Recht von uns, dass wir Verantwortung für diese Stadt zeigen, dass wir uns nicht mit uns selbst beschäftigen, nicht die eigenen Interessen oder die unserer Parteien in den Vordergrund stellen.


Wir müssen gemeinsam und entschlossen darum ringen, die besten Lösungen für Hamburg zu finden.


SPD, CDU, Grüne, Linke, FDP, und AfD: Wir alle stellen Mitglieder dieser einen Bürgerschaft. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, sich als Abgeordneter zur außerparlamentarischen Opposition zu stellen und mit den Wölfen zu heulen, wenn es um die öffentliche Diskreditierung von Andersdenken, von Andersgläubigen, aber auch von Parlamentskolleginnen und -kollegen geht.


Im Plenum sollten wir jederzeit mit offenem Visier gegeneinander antreten, Klartext reden und in der Sache den – gerne auch harten – Austausch suchen. Nachtreten im Internet ist nicht nur schlechter Stil, sondern beschädigt unser Ansehen in der Öffentlichkeit. Wir sollten alles tun, um ernst genommen zu werden. Dazu gehören auch Würde und Ernst im Umgang mit der eigenen Rolle.


Ich danke Ihnen!


Ort: Rathaus, Plenarsaal