Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zum Krieg in der Ukraine

Es gilt das gesprochene Wort!



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

als wir am vergangenen Donnerstag aufwachten, hatte Russland die Ukraine überfallen. Seit einer Woche gibt es Raketenangriffe, Bombardierungen, rücken Panzer vor, werden Ukrainerinnen und Ukrainer in einem aufgezwungenen Krieg beschossen, getötet, ermordet.

Das ist Mord, meine Damen und Herren, und es gibt einen Verantwortlichen dafür, das ist Wladimir Putin, der Verbrecher, den wir hoffentlich schnell auf der Anklagebank des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag sehen werden!

 

Es brauchte etwas Zeit, ein paar Stunden, vielleicht sogar ein paar Tage, um zu realisieren: Nichts wird mehr in Europa so sein wie vorher.

 

Der Einmarsch verleugnet die Souveränität eines unabhängigen Staates und ist ein eklatanter Bruch mit dem Völkerrecht.

Die Bürger der Ukraine haben sich 1991 mit überwältigender Mehrheit für Freiheit und Demokratie entscheiden.

Der despotische Nachbar erträgt das nicht und fürchtet das freiheitliche Vorbild.

Meine Damen und Herren,

wir verurteilen den russischen Überfall auf die Ukraine aufs Schärfste!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich darf in unserer Mitte die ukrainische Generalkonsulin begrüßen.

Sehr geehrte Frau Dr. Iryna Tybinka, seien Sie herzlich willkommen und ich möchte Ihnen versichern: die Hamburgische Bürgerschaft steht in dieser schwersten Zeit eng an der Seite Ihres Heimatlandes.

 

Die Bilder die uns erreichen, von Explosionen, kriegszerbombten Häusern und von Menschen, die in U-Bahn-Schächten und Kellern Zuflucht suchen müssen, sind nicht zu ertragen.

Wir sehen tausende Flüchtlinge, die ihr Zuhause zurückgelassen haben und nun in überfüllten Zügen und verstopften Straßen in ländliche Gebiete oder viel weiter in Richtung Westen fliehen.

Die meisten warten in den Nachbarländern die Entwicklung ab, weil sie schnell in ihre Heimat zurückwollen.

Aber, und da spreche ich sicher für die gesamte Bürgerschaft: Wer vor dem Krieg bis nach Hamburg flieht, ist hier herzlich willkommen!

 

Wir wissen um die Schwere der aktuellen Kämpfe und sind in Gedanken bei den ukrainischen Soldaten, die die Freiheit ihres Landes verteidigen. Unser Mitgefühl gilt allen, die Angehörige verloren haben und von großem Leid betroffen sind. 

 

Meine Damen und Herren,

wenn ich von wir spreche, dann meine ich uns Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Ich meine aber auch die große Anzahl von Hamburgerinnen und Hamburgern, die in den vergangenen Tagen auf die Straßen gegangen sind.

Sie haben vor unserem Rathaus und an vielen Orten in der Stadt für Frieden und Freiheit demonstriert. Sie haben starke, symbolische Zeichen gesetzt mit der Botschaft: Dieser Krieg muss sofort aufhören!

 

Wirklich bewundernswert sind die Menschen in der Ukraine, die sich wehren. Wer sich unbewaffnet Panzern entgegenstellt und sie damit stoppt, wer zwischen bis an die Zähne bewaffneten Feinden Friedenskundgebungen abhält, wer gegenüber einem scheinbar übermächtigen Feind Freiheit, Demokratie und sein Land verteidigt, verdient unseren allerhöchsten Respekt.

 

Eines ist mir aber noch sehr wichtig:

In diesen Tagen ist viel die Rede davon, „Russland“ führe diesen verbrecherischen Angriffskrieg gegen ein kleineres Nachbarland.

Ich glaube, das ist falsch. Es ist nicht „Russland“, das Krieg führt, sondern eine verbrecherische Clique um die Machthaber im Kreml.

Es ist Putins Krieg.

 

Meine Damen und Herren,

die Hamburgische Bürgerschaft ist seit drei Jahrzehnten Mitglied in der Ostseeparlamentarierkonferenz. Gemeinsam mit russischen Partnern haben wir uns dort stets für Frieden und Annäherung engagiert.

Es macht mich fassungslos, wenn ich heute das Statement der russischen Delegation lese, nachdem wir ein geplantes Treffen in dieser Woche abgesagt hatten.

Von den Russen wird offiziell vom drohenden „Genozid“ an der ukrainischen Bevölkerung durch das „Regime in Kiew“ gesprochen. Es wird ein Staat verurteilt, in dem angeblich der Nationalsozialismus auflebe. Sie übernehmen 1:1 die offizielle Wortwahl, die vom russischen Diktator als Begründung für den Krieg vorgegeben wurde.

Damit haben sich die russischen Kolleg:innen von jedem gemeinsamen Vorhaben verabschiedet.

Offenbar hat der Aggressor die Rechnung aber aufgemacht, ohne über den Rand seines Kreml hinauszuschauen.

Ich glaube nicht, dass er nach all den Jahren der Unterdrückung und des Terrors gegen die eigene Bevölkerung damit gerechnet hat, dass es öffentliche Proteste und Demonstrationen gegen seine Politik gibt.

Ich glaube nicht, dass er damit gerechnet hat, dass sich 4.000 russische Wissenschaftler:innen per Unterschrift gegen seinen Krieg stellen, und ich bin froh, dass sein plumper Versuch, die Pressefreiheit auszuhebeln und sogar einzelne Worte zu verbieten, nicht wirklich gut gelingt.

Im eigenen Land regt sich Widerstand gegen den Tyrannen aus Moskau, und das muss noch mehr werden!

 

Mich erreichen in diesen Tagen aus St. Petersburg Briefe von Nicht-Regierungsorganisationen, von Frauenbewegungen und weiteren, die sich alle offen gegen den Krieg aussprechen.

Sie möchten genauso wie die Ukraine Frieden haben, und deshalb sollten wir gerade für die Zukunft aber zurückhaltend sein, unsere mühsam erarbeiteten freundschaftlichen Beziehungen zur russischen Zivilgesellschaft in St. Petersburg jetzt aufzugeben.

 

Für freundliche Gefühle gegenüber Russland ist jetzt wahrlich nicht die Zeit.

Und womöglich hätten wir unseren nationalen Pazifismus etwas früher an die Bedrohungslage anpassen müssen.

Aber: Wenn es gelungen sein wird, nicht nur die Souveränität der Ukraine zu verteidigen, sondern unsere Friedensordnung, die wir uns in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mühevoll aufgebaut haben,

dann wird die Frage nicht mehr sein:

Was wollen solche wie Putin? Sondern: Was wollen wir?

 

Friedliche Grenzen, Demokratie, Freiheit und Sicherheit.

 

Vielen Dank!


Datum: Mittwoch, 2. März 2022, 13.30 Uhr
Ort: 
Rathaus, Großer Festsaal