Grußwort der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit anlässlich der HanseEssay-Preisverleihung

Es gilt das gesprochene Wort!



Sehr geehrte Frau Präsidentin Voßkühler,

sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kotzur,

sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kämmerer,

aber vor allem: liebe Studierende und Essay-Autor:innen,

 

ich freue mich sehr, Sie als Schirmherrin des „HanseEssays“ im Hamburger Rathaus zu begrüßen. Schon zum zweiten Mal ehren wir hier die Siegerinnen und Sieger dieses bundesweiten Wettbewerbs. Die erste Veranstaltung im Jahr 2019 stand ganz im Zeichen von 70 Jahren Grundgesetz. „Gelebte Verfassung – Lebendige Verfassung“ lautete die Aufgabe des Wettbewerbs. Wer hätte damals gedacht, dass dieses Thema einmal derart konkret werden würde?


In der Ausschreibung des diesjährigen HanseEssays wurde provokant gefragt: „Ist ein Staat, der Demonstrationen untersagt, Gottesdienste verbietet, Museen, Theater und Schulen, Restaurants, Geschäfte oder Sporteinrichtungen schließt, noch ein veritabler Grundrechts- und Verfassungsstaat?“. Sicher hätten wir 2019 wohl alle nicht vermutet, dass derart weitreichende Grundrechtseingriffe einmal erforderlich und angemessen sein könnten. 


„Bürgerrechte in und nach der Pandemie“, so das Thema des diesjähren Hanse-Essay, ist eine Aufarbeitung und Analyse, denn inzwischen sind die genannten Grundrechtseingriffe zum Glück nicht mehr nötig. Das aktuelle Pandemiegeschehen hat in weiten Teilen unseres gesellschaftlichen Lebens und für die meisten Menschen eine Rückkehr zur Normalität ermöglicht.

Aber die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung wird uns sicher noch lange beschäftigen. Kein Politiker, keine Politikerin beschließt oder billigt leichtfertig derart weitreichende Grundrechtseinschränkungen.


Die ergriffenen Maßnahmen stießen vielerorts auf Verständnis, aber auch auf ebenso viel Frust bei vielen Menschen, sie haben polarisiert wie kein zweites Thema.

Eins steht fest: Die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass es eine intensive Auseinandersetzung mit der Reichweite von Grundrechten gibt, einen lebhaften öffentlichen Prozess der Verfassungsinterpretation.

Und damit geht in meinen Augen eine Stärkung der Demokratie und des Diskurses einher, denn es war ja sehr deutlich: so richtig „Richtig“ und so richtig „Falsch“ gab und gibt es nicht.


„Das sollten mal besser Experten entscheiden...“, wird uns Politiker:innen ja gern mal vorgehalten.

Ja, als ob die sich alle einig wären! Genau das waren sie eben nicht, wurde schnell klar. Es gab ganz unterschiedliche Hinweise, Erwartungen und Expertisen.

Und überhaupt nicht die Experten, die die eine Lösung hatten. Sehr schnell haben sie sich als „Berater“ etabliert – aber nicht als Entscheider. Es musste – natürlich – am Ende politisch entschieden, Mehrheiten gefunden, abgestimmt werden.


Und das ist ja auch unser Geschäft, übrigens auch, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Hier kam eine Komponente hinzu, die nicht ständig so stark das Tagesgeschäft von Legislative und Exekutive bestimmt, nämlich die Grundrechtsrelevanz.

Und so wurde schnell die Frage nach der Einbeziehung der Parlamente laut.

Die Pandemie wurde ja vielfach als „Stunde der Exekutive“ bezeichnet – zu Recht, denn insbesondere der Bundestag hatte ja einige Monate gebraucht, seine Rolle anzunehmen und schließlich § 28a des Infektionsschutzgesetzes einzufügen.


Und es gab natürlich auch eine zunehmend lauter werdende Debatte darüber, ob nicht auch die Landesgesetzgeber stärker in die Entscheidungen und ihre Kontrolle einbezogen werden müssten, denn dort, in den Ländern, wurden dann ja schließlich die Verordnungen erlassen, im abgesprochenen Gleichlauf.

Zwar haben wir Länderparlamente angesichts der abschließenden Bundesregelungen im Infektionsschutzgesetz [IfSG] keine originäre Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen der Pandemiebekämpfung.

Aber wir haben natürlich gesehen, dass nach Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes in den Fällen, in denen – wie im Falle des § 32 IfSG – Landesregierungen durch Bundesgesetz oder aufgrund von Bundesgesetzen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, auch die Länder selbst zu einer Regelung durch Gesetz befugt sind.


Insofern traf alle Landesgesetzgeber die Verantwortung abzuwägen, ob sie entsprechende Kontrollmechanismen einführen und wann, beziehungsweise in welchem Umfang, sie selbst Regelungen treffen wollen.


Auch wir in Hamburg haben uns dieser Frage gestellt und als eine der ersten noch im Dezember ein Parlamentsbeteiligungsgesetz geschaffen.

Wir haben vereinbart, dass die Regelungsbefugnis zunächst bei der Exekutive verbleibt, soweit die Bürgerschaft nicht von ihrer Befugnis Gebrauch macht, kraft Vorrang des Gesetzes im Rechtsformentausch die von der Landesregierung erlassene Verordnung zu ersetzen.


Ich verrate kein Geheimnis:

Das war bisher nicht nötig. Der Senat hat seine Sache ganz ordentlich gemacht.

Der Kern unseres Beteiligungsgesetzes aber sind neben dieser Beschreibung der Rechtslage umfangreiche Informationspflichten des Senats.

Wir haben verschiedene Befassungsmöglichkeiten rund um den Erlass oder die Veränderung einer Verordnung oder deren Absicht, und haben davon auch Gebrauch gemacht.

Der Senat hat gelernt, uns die jeweiligen Änderungen unverzüglich zuzuleiten und überhaupt über alles zu informieren.


Das klappt gut, und so gibt es zu jeder neuen Verordnung eine Sondersitzung des Verfassungsausschusses mit Anhörung des Senats und mit Experten aus allen Fraktionen – am Donnerstag zum 53. Mal.

Die Regierung hört zu und geht auf die Fraktionen ein, und die Abgeordneten sind in der Lage, regelungstechnische Hintergründe zügig weiter zu erklären.


Das ist gut, das ist auf Augenhöhe, das ist transparent und verlässlich und das ist schließlich das, was die Bürger:innen erwarten – damit es so minimalinvasiv und gerecht zugeht wie es in so einer Lage eben gehen kann.

Dass man rückblickend den einen oder anderen Ermessensspielraum auch politisch etwas anders hätte ausfüllen können, wissen wir alle, das gehört dazu.


Ich persönlich kann Ihnen versichern, dass die Zeit der Corona-Pandemie der wohl bislang einschneidendste Abschnitt meiner bisher 10-jährigen Amtszeit als Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft war.

 

Wir haben gesehen: Keine Rechtsordnung ist perfekt. Sie ist nur so gut, wie sie an die aktuellen Entwicklungen angepasst und Schutzlücken geschlossen werden.

Es ist jetzt wichtig, dass Politik und Rechtswissenschaft gemeinsam herausarbeiten, an welchen Stellen Verbesserungspotenzial besteht und im ständigen Diskurs Reformvorschläge erarbeiten. Mal größere, mal kleinere.

In zahlreichen Seminaren an den Universitäten, in Fachaufsätzen und Sammelbänden wurden schon viele kluge Gedanken ausgetauscht.


Sie, liebe Studierende, leisten mit Ihren Essays nun einen weiteren Beitrag auf diesem Feld.

Ich freue mich, dass offenbar so viele tolle Arbeiten eingereicht wurden und möchte mich ganz herzlich bedanken bei der fachkundigen Jury, die die Essays intensiv begutachtet und bewertet hat.


Mein Dank gebührt zudem dem Hamburgischen Verfassungsgericht, dem Hamburgischen Anwaltverein und dem Hamburgischen Notarverein. Dank Ihrer finanziellen Unterstützung erhalten die drei besten Essays heute großzügige Preisgelder, über die sich die Studierenden sicherlich freuen werden.


Schön auch, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Gewinnerinnen oder Gewinnern die Möglichkeit gibt, ihren Essay im Einspruch-Magazin zu veröffentlichen.

Und nun drücke ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Daumen für die Preisverleihung, und wünsche uns allen einen interessanten Abend.


Herzlichen Dank!




Datum: Montag, 26. Oktober 2021, 18.00 Uhr
Ort: Rathaus