Traueransprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit für Sylvia Bretschneider

Staatsakt zu Ehren der verstorbenen Präsidentin des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern Sylvia Bretschneider 

 

Es gilt das gesprochene Wort!


Lieber Rüdiger Bretschneider,

liebe Familie Bretschneider,

verehrte Trauergemeinde,

 

als Hamburger Parlamentspräsidentin blicke ich auf die unglaublich lange und erfolgreiche Amtszeit meiner Kollegin und Freundin Sylvia Bretschneider, und ihr Tod erschüttert mich.


Denn wir waren als Landtagspräsidentinnen nicht nur Kolleginnen und norddeutsche Nachbarinnen, sondern politisch und menschlich eng verbunden – so zum Beispiel auf den Konferenzen der Ostseeparlamentarier, im Parlamentsforum Südliche Ostsee und in der Runde der Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage.

 

Meine Damen und Herren,

für meine tief verehrte Kollegin war gerade die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Ostseeraum als Teil der europäischen Integration besonders wichtig und – ja – eine Herzensangelegenheit.

 

Als Präsidentin hat sie nicht nur die Delegation ihres Landtages zu den Jahreskonferenzen der Ostseeparlamentarierkonferenz angeführt. Sie hat von Anfang an zusätzliche Aufgaben und inhaltlich Verantwortung übernommen. Hier zeigte sich – wie ich finde – eine besondere Charaktereigenschaft von Sylvia Bretschneider. Nicht allein die Pflicht zu erfüllen und das Notwendige zu tun, sondern darüber hinaus zu denken und zu gestalten. Der feste Wille, Dinge kraftvoll zu bewegen und andere auf diesem Weg mitzunehmen und zu überzeugen.

 

Die Umwelt in der Ostsee und rund um die Ostsee zu schützen und zu verbessern – darauf verwendete sie unglaublich viel Energie, und ich habe mich manchmal gefragt, woher diese Frau all ihre Kraft nimmt. So unermüdlich und so rastlos und dabei so sortiert und wohlüberlegt kam sie mir bei unseren vielen Begegnungen vor. Dass sie dabei noch so wunderbar-sympathisch war, herrlich privat und vertraut sein konnte, zeigt, was für ein toller Mensch Sylvia Bretschneider war – und in unseren Gedanken stets bleiben wird.

 

Sylvia hat ja erreicht, dass der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern jedes Jahr die Landesregierung aufgefordert hat, die Resolutionen, die sie von den Ostsee-Konferenzen mitgebracht hat, auch umzusetzen. Das mag vielleicht nur ein kleiner, für manche auch gewöhnlicher Punkt sein. Aber wer das Klein-Klein des politischen Miteinanders kennt, in dem der Parlamentsbetrieb häufig feststeckt, wird anerkennen müssen, dass dies ein Baustein von grundlegender Bedeutung ist.

Für Sylvia ging es eben nicht allein darum, ein Ziel zu formulieren. Sie wollte an der Umsetzung partei- und gewaltenübergreifend mitwirken und das große Ganze weiter im Blick behalten. Zufrieden war sie, wenn sie das Gefühl hatte, etwas in Sack und Tüten zu haben.

 

Meine Damen und Herren,

Sylvia Bretschneider hat die Ostseeparlamentarierkonferenz nach Mecklenburg-Vorpommern geholt und war von 2014 bis 2015 deren Präsidentin.

Dort setzte sie zwei Schwerpunkte: zum einen die Förderung der Sozial- und Gesundheitspolitik. Unter ihrer Leitung wurde in Warnemünde eine umfassende Beschlussfassung zu dieser Thematik erreicht.

Zum anderen lag ihr der nachhaltige Tourismus sehr am Herzen. Als Vorsitzende des Landestourismusverbandes konnte sie viele ihrer Erfahrungen in die Ostsee-Arbeitsgruppe zum Thema Tourismus einbringen. Sie machte Werbung für die Schönheit Mecklenburg-Vorpommerns und der ganzen Ostseeregion.

 

Verehrte Trauergäste,

für Sylvia Bretschneider war die Ostsee ein Meer des Friedens, des Wohlstandes und der Zusammenarbeit.

Der Ostseeraum soll eine Region enger Nachbarschaft sein, in der demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Chancengleichheit gelten. Das war ihr Anliegen, das war ihre Vision.

Sie selbst sagte einmal:

„Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um Konflikte durch politischen Dialog und nicht durch Streitkräfte zu lösen. Die parlamentarische Zusammenarbeit ist ein starker Hebel für transparente, demokratische und fruchtbare politische Prozesse zur Behandlung strittiger Fragen".

Wie ausgeprägt ihr Wunsch nach friedlichem Zusammenleben der Nationen war, spürten alle Gäste der Konferenz in Warnemünde, als sie nach ihrer Rede zum Gedenken an die 60 Millionen Opfer des Zweiten Weltkrieges die internationale Friedenshymne „We shall overcome …“ sang – und die ganze Konferenz stimmte ein.

Ihre Botschaft: „Wir sollen in Frieden leben.“ Auch das war typisch für Sylvia: mit der Kunst der Rede und der Musik auch mit unkonventionellen Mitteln Menschen zu erreichen und zum Mitmachen anzuregen.

 

Sylvia Bretschneider hat, meine Damen und Herren, damit weit über die Grenzen ihres Heimatlandes und der Bundesrepublik Deutschland hinaus gewirkt.

Ihr humorvoller, unkomplizierter Umgang mit den Menschen hat vielen, auch ernsten Treffen immer wieder einen positiven und freundschaftlichen Schwung verpasst.

Aber ihre Aktivitäten waren keineswegs auf die Ostseeparlamentarierkonferenz begrenzt.

 

Hier in Neubrandenburg nahm vor 15 Jahren unter ihrem Vorsitz das Parlamentsforum Südliche Ostsee mit den polnischen Partner-Parlamenten seine Arbeit auf. Mittlerweile arbeiten Hamburg, Kaliningrad und Skane in Südschweden in diesem Gremium mit.

In diesem Jahr ist Mecklenburg-Vorpommern wieder Ausrichter dieser Konferenz – Sylvia Bretschneider wird uns sehr fehlen.

Ihr starkes Engagement für gute Nachbarschaft mit dem unmittelbaren Nachbarn West-Pommern fand hohe Anerkennung. Im November 2008 wurde ihr die höchste Auszeichnung der Nachbarregion, der ‚Goldene Greif Westpommern‘ verliehen. 

In der grenzüberschreitenden parlamentarischen Zusammenarbeit war ihr eines immer besonders wichtig: die Einbeziehung der Jugend und junger Menschen in die Entscheidungsprozesse.

So findet Ende dieses Monats in Schwerin das 3. Parlamentarische Ostsee-Jugendforum statt. Sie hatte sich bis zuletzt so sehr gewünscht, daran teilnehmen und mitwirken zu können.

 

Liebe Trauergäste,

mit dem Tod von Sylvia Bretschneider haben beide parlamentarischen Institutionen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im gesamten Ostseeraum eine ihrer prägenden Persönlichkeiten verloren. Sie wird jedenfalls mir ein Vorbild in unserer Arbeit bleiben.

 

Aber auch im Kreis der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente hinterlässt sie eine große Lücke. 

Auf ihre Initiative hin wurde vor vier Jahren beschlossen, Projekte zum Planspiel „Jugend im Parlament“ weiter zu stärken.

Ein Beschluss, der unsere gemeinsame Leidenschaft und unsere gemeinsamen Ziele, in Schwerin und Hamburg, unterstreicht: junge Menschen für Politik zu gewinnen.

Sie sollen früh in ihrem Leben ein Gefühl dafür bekommen, wie Entscheidungen innerhalb eines demokratischen Systems zustande kommen.

Gar kein Pardon kannte Sylvia, wenn es um die Bedeutung der Parlamente als erster Gewalt ging. Mit Überzeugung, Haltung und Nachdruck vertrat und versah sie ihr Amt. Und, wenn es der Sache diente, auch mit Hut.

 

Liebe Familie,

liebe Trauergäste,

Sylvia Bretschneider hat mit Ihrer Kraft so viel angeschoben und sicher noch viel mehr auf der Agenda gehabt. Wir werden uns stets daran erinnern, wofür diese Frau stand: Ihr Mut und ihre Entschlossenheit, ihr Ideenreichtum, ihre Gestaltungskraft und ihr Wille zur Umsetzung sowie ihr Engagement für den Schutz unserer Demokratie ohne Wenn und Aber vor all denen, die insgeheim oder offen unsere Staatsordnung ablehnen, sind uns bleibendes Vorbild.

 

Liebe Sylvia,

einen Präsidenten-Kamin ohne Dich und Dein Lachen will ich mir noch nicht vorstellen müssen. Deswegen bin ich heute und morgen und noch ganz lange in Gedanken bei Dir.

  

Datum: Montag, 13. Mai 2019, 12.00 Uhr
Ort: Konzertkirche, Neubrandenburg