Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit Ausstellungseröffnung „Eine Stadt und ihr KZ: Häftlinge des KZ Neuengamme im Hamburger Kriegsalltag 1943-1945“

Ausstellungseröffnung „Eine Stadt und ihr KZ: Häftlinge des KZ Neuengamme im Hamburger Kriegsalltag 1943-1945“


 

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte Frau Kraus, 
sehr geehrte Frau Beßmann, 
verehrte Mitglieder des Konsularischen Korps,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Senat und Bürgerschaft,
sehr geehrte Damen und Herren!


Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie zu unserer diesjährigen Ausstellungseröffnung im Rathaus!


Es ist viel mehr als eine Tradition, dass unser Landesparlament Ende Januar mit verschiedenen Veranstaltungen an die schrecklichen Verbrechen und Gräueltaten erinnert, die Deutsche begangen haben und mit denen sie unsägliches Leid über Millionen von Menschen gebracht haben. 


Niemals zuvor sind in einem solchen Umfang und mit einer solchen akribischen Systematik Menschenrechte und Menschenwürde verletzt worden. 
Dies darf nie in Vergessenheit geraten, und die Hamburgische Bürgerschaft will ihren Teil dazu beitragen.


Hinter dem Titel der diesjährigen Ausstellung: „Eine Stadt und ihr KZ“ wird das Leben der Häftlinge im Hamburger Kriegsalltag in den Jahren von 1943 bis 1945 beleuchtet. 
In eindrucksvollen und zugleich beklemmenden Bildern und Texten wird das Schicksal dieser Männer und Frauen dargestellt. 


Meine sehr geehrten Damen und Herren,


die Ausstellung ist äußerst informativ, aber sie hat doch einen schwerwiegenden Fehler: Sie kommt eigentlich mindestens sechzig Jahre zu spät. 


Seit 1945 nämlich hat sich in Deutschland eine ganz eigenartige Form der Schuldzuschreibung breit gemacht. 


Angeblich waren es irgendwelche verbrecherische Nazis, die all diese Taten begangen haben, während eine sehr große Mehrheit den Eindruck vermittelte und, soweit die Menschen noch leben, bis heute den Eindruck vermittelt und erzählt, man habe von all dem nichts gewusst.


Schlimmer noch: Heute gibt es zunehmend Mitbürgerinnen und Mitbürger, die ganz offen diese Verbrechen entweder in Zweifel ziehen oder zumindest die Meinung vertreten, nun müsse aber endlich einmal Schluss sein mit Gedenken und Erinnern. 


Wer nichts gewusst hat, der trage schließlich auch keine Schuld. 


Wer so denkt, der baut sein Geschichtsbild auf einer Lüge auf. Dieses Nichts-Gewusst-Haben ist eine ganz große Lebenslüge vieler Menschen, und es ist wohl die Keimzelle dafür, dass bei uns wieder Fremdenfeindlichkeit, Hass auf Andere und auch eine perfide Selbstüberhöhung Raum greifen.


Meine Damen und Herren, 
die Ausstellung, die Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Freunde der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme zusammengetragen haben, widerlegt diese Lüge und belegt vor allem eines: dass nämlich die KZ-Häftlinge für fast jedermann deutlich sichtbar waren. 

Wer ernsthaft behaupten wollte, er habe von nichts gewusst, muss vermutlich blind und taub gewesen sein. Tausende von ihnen waren deutlich sichtbar in ihrer Häftlingskleidung bei Arbeitseinsätzen im Stadtbild und in den Betrieben. 


Ihr Elend, ihre Angst und der brutale Umgang mit ihnen spielten sich eben nicht im Verborgenen hinter Mauern und Stacheldraht ab, sondern auf Straßen, Plätzen und in den Werkhallen. Zuerst in der näheren Umgebung des Konzentrationslagers, später in ganz Hamburg waren die ausgemergelten, oft nur notdürftig bekleideten Opfer zu sehen. 


Auch belieferten Firmen der Region das KZ; SS- und Wehrmachtsoffiziere, Parteifunktionäre und Richter besichtigten Neuengamme und die Außenstellen – und waren sehr zufrieden.


Die Hansestadt Hamburg und in der Folge ein ganzer Beamtenapparat hatten wesentlichen Anteil an der Gründung und am Ausbau des KZ Neuengamme. 


Nach den schweren alliierten Luftangriffen, der Operation Gomorrha im Sommer 1943 wurden ja auch Hunderte KZ-Häftlinge zur Leichenbergung und Trümmerräumung im inneren Stadtgebiet eingesetzt.


Zudem ließen Behörden und Unternehmen nun immer mehr KZ-Häftlinge für den Behelfsheimbau, bei der Baustoffgewinnung, in der Rüstungsproduktion und auf den Werften arbeiten. Viele schufteten bis zum Tod.


Dafür entstanden 1944 in der Stadt zahlreiche Außenlager des KZ Neuengamme, viele praktischerweise direkt bei den profitierenden Betrieben. 


Verstärkt wurden sie durch die Männer, Frauen und Kinder, die als Zwangsarbeiter hierher verschleppt wurden und die in vielen Hamburger Betrieben bis aufs Blut ausgebeutet wurden. Wir haben ihnen vor einigen Jahren eine szenische Lesung gewidmet. Auch ihre Leiden blieben keineswegs geheim. 


Wir werden im Anschluss von Ihnen, verehrte Frau Kraus, mehr über diese schlimme Zeit erfahren. Ich danke Ihnen, dass Sie den Weg aus Israel zu uns aufgenommen haben und begrüße Sie ganz herzlich im Namen der Bürgerschaft. 


Eine Aufarbeitung des Geschehens, meine Damen und Herren, gab es nach 1945 zunächst nicht. Zur Rechenschaft gezogen wurden nur wenige. Am ehesten traf es noch das Wachpersonal. Richter und Staatsanwälte dagegen, die Häftlinge nach Neuengamme verwiesen, oder Betriebe und ihre Inhaber, die von Zwangsarbeit profitierten, auch Ärzte und auch Ingenieure, die Häftlinge zu Menschenversuchen missbrauchten, konnten nach 1945 einfach in ihren Berufen weiterarbeiten. 


Entschädigungen, soweit man das erlittene Unrecht überhaupt „entschädigen“ konnte, gab es spärlich und erst so spät, dass viele, die die Lager überlebt hatten, mittlerweile gestorben waren. 


Ignoranz und leichtfertiges Vergessen prägten lange das Denken und Fühlen der Nachkriegszeit; langes Zögern oder gar Verschweigen kennzeichnet auch das frühere Verhalten von heute noch bedeutenden Unternehmen in Hamburg.


Dazu gehört zum Beispiel Blohm und Voss. Der Schiffbaubetrieb weigerte sich bis weit in 1990er-Jahre hinein, seine Rolle als KZ-Außenlager Neuengamme selbstkritisch zu beleuchten. Immerhin beteiligte sich die Werft später an Entschädigungszahlungen an Zwangsarbeiter und empfing ehemalige Opfer. Insofern setzte dort ein Wandel ein.


Das gilt aber bei weitem nicht für alle Firmen, wie man an den Beispielen der Unternehmen Junghans oder Carl Walther sehen kann. Über deren schändlichen „Einsatz“ von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern können Sie, verehrte Gäste, in der Ausstellung mehr erfahren. 


Meine sehr geehrte Damen und Herren,
die Zeit der Aufarbeitung der NS-Zeit ist nicht vorbei – das zeigt uns einmal mehr diese Ausstellung, die ein großes Team rund um die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und ihren Freundeskreis  zusammengetragen hat. Allen voran Frau Beßmann als Projektleiterin.


Wie immer haben viele Einzelpersonen und Institutionen die Arbeit unterstützt. Ich freue mich sehr, dass etliche der Macherinnen und Macher heute auch anwesend sind. 

Ihnen allen danke ich im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft und auch persönlich von Herzen. 


Meine Damen und Herren, 
wir können die damaligen Verbrechen nicht ungeschehen machen. Was damals geschah, darf niemals, niemals vergessen werden. 


Wir, meine Generation, können uns glücklich schätzen, dass wir jedenfalls bisher so etwas nicht erleben mussten. 


Mit den Ländern, mit denen damals Krieg geführt wurde und deren Männer, Frauen und Kinder hier so schrecklich misshandelt wurden, leben wir seit mehr als 70 Jahren im Frieden, und mit den meisten sind wir heute befreundet. 


Der Schlüssel dazu war und ist ein vereintes Europa in Demokratie und Freiheit. Das ist ein unschätzbarer Wert, den es zu erhalten gilt, und umgekehrt gilt auch: 


Wer das vereinte Europa in Frage stellt oder gar abschaffen möchte, der gefährdet wissentlich und vorsätzlich den Frieden und die Freiheit, die unser aller Lebensgrundlage ist. 


Am 26. Mai, diesen mahnenden Hinweis mögen Sie mir verzeihen, haben Sie alle Gelegenheit, einen kleinen Teil dazu beizutragen, indem Sie alle sich an der Wahl zu Europäischen Parlament beteiligen. 


Ich danke Ihnen.

  

Datum: Donnerstag, 17. Januar 2019, 11.00 Uhr
Ort: Rathaus, Kaisersaal