Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Verlegung von Stolpersteinen der Handelskammer Hamburg

Verlegung von Stolpersteinen der Handelskammer Hamburg


Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrter Herr Bergmann, 
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, 
lieber Herr Demnig,
liebe Angehörige,
meine sehr verehrten Damen und Herren!


Die Stolpersteine vor den Toren unserer Handelskammer erinnern seit heute an Mitglieder und ehrenamtliche Funktionsträger der Handelskammer, die Opfer des Nazi-Faschismus wurden. Die Kammer will an diese Menschen erinnern, und ich bin Ihnen Herr Bergmann, dankbar für die Fragen, die Sie damit verbinden: 

  • Musste das alles geschehen?
  • Hätte man, hätten Kammer und Gewerbetreibende nicht vorher etwas gegen das sich abzeichnende schwere Unrecht unternehmen, vielleicht wenigstens ihre Mitglieder länger schützen können?


Es ist schwer, aus heutiger Sicht eine Antwort darauf zu geben. Wir alle kennen das Geschehen von damals nur aus Geschichtsbüchern, wer Glück hat, vielleicht noch aus Erzählungen von Verwandten (wenn sie denn geredet haben) oder Zeitzeugen. 


Aber wie wir uns in einer vergleichbaren Situation wirklich verhalten hätten, ob wir uns getraut hätten, den Mund aufzumachen oder gar dem Naziterror direkt etwas entgegenzusetzen – das wissen wir nicht.


Natürlich: Wenn ein Fabrikant den Krieg kommen sah und dabei vor allem die Steigerung seiner Stiefelproduktion oder Rüstungsexporte im Blick hatte, dann können wir das verurteilen. 


Klar auch: Wenn jemand sich freute, davon zu profitieren, dass jüdische Konkurrenten gewaltsam ausgeschaltet wurden, dann ist das zutiefst verachtenswert.  


Oder wenn jemand im Nachkriegsdeutschland sein Wohlergehen darauf aufbaute, dass er das ihm per sogenannter „Arisierung“ zugefallene jüdische Vermögen einsetzte. 


Und es hat sicher den einen oder anderen Unternehmer gegeben, der mit einigem Wohlgefallen sah, dass die Nazis nicht nur die Juden und die linke Opposition aus SPD und KPD im Blick hatten, sondern auch die Gewerkschaften und Betriebsräte.


Aber was ist mit all den anderen, die einfach nur ‚nichts getan‘ haben?


Ich bin sehr weit davon entfernt, die heutige Situation in Deutschland mit der vom Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vergleichen zu wollen. Damals gab es Massenarbeitslosigkeit, heute nahezu Vollbeschäftigung. Damals lebten weite Teile der Bevölkerung mit Hunger, Kälte und miserablen Wohnverhältnissen. Das alles ist heute nicht so, und deshalb sind die Voraussetzungen ganz andere als damals.


Nur: Wie sich die moderne Rechte, die Nazis von heute, öffentlich darstellt, das gibt schon zu denken. 


Genau wie damals stellt man sich gegen den demokratischen Staat als Ganzes. Genau wie damals versucht man, Hass auf einzelne Gruppen zu lenken. Genau wie damals wird zunehmend nicht vor Gewalt zurückgeschreckt, nicht vor physischer, und schon gar nicht vor verbaler Gewalt.

Wer unter Missachtung fundamentaler Grundsätze unserer Verfassung fordert, Menschen ‚absaufen‘ zu lassen, wer Juden auf offener Straße beschimpft und anspuckt, wer Andersdenkende mit Morddrohungen überzieht, der ist nicht gar so weit entfernt von den Mörderbanden der Nazis. 


Und vielleicht sind diejenigen, die dies geschehen lassen, ohne mit aller Kraft zu widersprechen, in der Eckkneipe, am Gartenzaun, in der Kantine, im Business-Club, auch nicht so weit entfernt von der berüchtigten ‚schweigenden Mehrheit‘, ohne deren Schweigen Rassenhass, Krieg und Völkermord gar nicht möglich gewesen wären.


Meine Damen und Herren, 
ein kritischer Blick zurück schärft die Sinne für die aktuelle Lage und die Zukunft.


Gute Geschäfte – nicht nur – in der Kaufmannsstadt Hamburg waren und sind nie frei von Ethik, Moral und dem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie.
Deshalb begrüße ich die Stellungnahme des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Dr. Eric Schweitzer. 


Er hatte die Nazi-Aufmärsche in Chemnitz scharf verurteilt und vor einer demokratiefeindlichen Entwicklung in Deutschland gewarnt. Schließlich sei gerade die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft von ihrem Ruf in der Welt abhängig.


Und er hat den vermutlich wichtigsten Grund für derartiges Fehlverhalten benannt: 
Die Unsicherheit vieler Menschen, die sich Sorgen um die eigene Zukunft, das Alter, die Rente, die Zukunft ihrer Kinder machen und deshalb auf die scheinbaren Wahrheiten der Populisten hereinfallen.


Diese Signale zur Verteidigung der Demokratie – auch und gerade aus der Wirtschaft – fehlten zum Ende der Weimarer Republik. Genau deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir niemanden aus der Pflicht, sich mit der dunklen Seite unserer Geschichte auseinanderzusetzen, entlassen dürfen. 


Niemand kann sich dieser Verantwortung entziehen, vor allem nicht Politiker, die gewählt worden sind, um Rechtsstaat und Demokratie zu sichern und zu verteidigen.


Unsere Handelskammer setzt mit den neuen Stolpersteinen ein deutliches Zeichen. Wir als Bürgerschaft haben es auf der anderen Seite des Hauses, vor dem Rathausportal,  auch getan. Das ist gut, das sind wichtige Zeichen gegen das Vergessen.


Aber noch viel wichtiger als jegliche Symbolik ist es, dass wir alle den Mut besitzen, Antisemitismus, Nationalismus und Intoleranz entgegenzutreten. Viele hier haben durchaus die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.


Wenn erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer und natürlich auch Politikerinnen und Politiker ihre Stimme erheben, so wird das mindestens gehört. Es wird nicht immer direkt zum Umdenken führen, aber es macht nachdenklich, und damit ist viel gewonnen.


Meine Damen und Herren,
es gibt keine Alternative zur Demokratie, weil nur sie Toleranz und Menschlichkeit sichert. Lassen Sie uns das gemeinsam überall deutlich machen, wo sich die Gelegenheit dazu bietet. Dann soll uns um die Freiheit und unser Land nicht bange sein.


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Datum: Montag, 24. September 2018, 11 Uhr
Ort:
Adolphsplatz 1