Ansprache der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit zur Ausstellungseröffnung „Rund um die Alster. Hamburger Geschichte im Nationalsozialismus“

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte Mitglieder des konsularischen Korps,
sehr geehrter Herr Landesrabbiner! 
Lieber Herr Diercks, lieber Herr Dr. Garbe,
sehr geehrter Herr Storjohann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bürgerschaft und Senat!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie zu unserer diesjährigen Ausstellungseröffnung hier im Rathaus!

 

Unserem Landesparlament ist es ein tiefes Anliegen, mit allen Opfern des Nationalsozialismus würdevoll umzugehen. Diesen Frauen, Männern und Kindern einen Namen zu geben und die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden, niemals zu vergessen. 


Zu diesem Umgang zählt übrigens auch der nötige Respekt gegenüber dem Gedenktag, dem 27. Januar, meine Damen und Herren.  


In den vergangenen Jahren hat sich die Hamburgische Bürgerschaft gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme immer wieder Themen aus der NS-Zeit zugewandt, die kaum oder gar nicht bekannt waren. 


Dazu gehörten unter anderem die Verbrechen der Hamburger Polizei, der NS-Militärjustiz oder der Euthanasie-Ärzte.


So unterschiedlich diese Themen auf den ersten Blick vielleicht wirken, so zeigen sie bei näherer Betrachtung doch eines: die Zeit der Aufarbeitung der NS-Zeit ist nicht vorbei. 


Wie sehr sich unsere Heimatstadt ihrer Vergangenheit stellt, kann man an vielen Orten in Hamburg sehen. Signifikant sind die mehr als 5.000 Stolpersteine, von denen 20 auch vor dem Rathaus liegen. Erst im vergangenen Jahr wurde der Gedenkort am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof eingeweiht. Und seit vielen Jahren steht die Gedenkstätte in Neuengamme als Mahnung für das, was in deutschem Namen verbrochen wurde.


Es gibt aber auch Spuren des Nationalsozialismus in Hamburg, die weniger bekannt sind. Diesem Thema widmet sich die diesjährige Ausstellung „Rund um die Alster“. Es geht um Boykottierungen jüdischer Geschäfte, um die zunehmende Verfolgung von Menschen oder die sogenannte „Arisierung“ von Gebäuden, aber auch um Orte, die zum Zeichen des Widerstands wurden.
Wie das abstoßende System der Ausgrenzung durch die Nazis funktionierte, lässt sich beispielhaft am Schicksal der jüdischen Familie Tietz zeigen. 


Sie besaß unter anderem das berühmte Warenhaus Hermann Tietz am Jungfernstieg. In Folge der Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten geraten, wurden ihr erst Kredite verweigert, die jüdischen Eigentümer und Geschäftsführer aus dem Unternehmen gedrängt, bis sie schließlich in die Übernahme der Firma durch die Banken einwilligen mussten. Mit einer Abfindung von zwölf Millionen Mark gingen sie in die Emigration.
 
Der Firmenname blieb – verstümmelt zu „Hertie“.
Das prächtige Gebäude am Jungfernstieg wurde zum „Alsterhaus“; zum Geschäftsführer wurde der leitende Angestellte Georg Karg bestellt, dem es bis 1938 gelang, Alleinbesitzer der Hertie-Gruppe zu werden. 


Eine Rückbenennung hat es nie gegeben; die Rückgabe hatte die später zurückgekehrte Familie Tietz zwar beantragt, Konzerneigner Karg vertrat aber mit Hilfe des Rechtsanwalts Otto Lenz, dem späteren Staatssekretär Adenauers im Bundeskanzleramt, die These, es habe sich keineswegs um eine „Arisierung“, sondern lediglich um eine Sanierung gehandelt. 


Das Unternehmen blieb in seinem Besitz; die Familie wurde lediglich an den Pachtzahlungen dreier der zehn damaligen Filialen beteiligt. Später wurden es über 100 Warenhäuser; in Darstellungen über die Unternehmergeschichte kann man heute nachlesen, dass der nach der Währungsreform einsetzende Boom die Restitutionslast leicht hatte verschmerzen lassen. 


Dies ist natürlich nur eines der vielen Themen, die die Ausstellung beleuchtet. 


Verehrte Gäste,
wir müssen uns unser Bewusstsein und die Sensibilität für das eigentlich Unvorstellbare erhalten, den millionenfachen Mord an jüdischen Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie an Sinti und Roma und allen weiteren Opfern, die wir in unser Gedenken einbeziehen, die während der NS-Zeit verfolgt und getötet wurden.


Denn nur aus dieser Erinnerung können wir die Kraft, den Mut und die Zuversicht schöpfen, unser friedliches Europa, in dem wir leben dürfen, zu erhalten.


Wir müssen deshalb entschieden gegen jede Form von Antisemitismus und Rassenhass vorgehen. Wenn wir zunehmend sehen, dass in Deutschland jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen und Menschen wegen ihres Glaubens beleidigt oder gar angegriffen werden, dann dürfen und werden wir nicht darüber hinwegsehen, meine Damen und Herren.


Deshalb hat die Bürgerschaft in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen, sich mit diesem Thema erneut intensiv und in ausführlichen Beratungen zu befassen. Wir werden nicht nachlassen in unserem Bemühen, uns jeder Form von Antisemitismus entschieden entgegenzustellen. 


Meine Damen und Herren,
mein Dank für die Ausstellung geht an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die Einrichtung leistet in der Forschungsarbeit einen immensen Beitrag für die Erinnerungskultur in unserer Heimatstadt. Gerade als Lernort ist sie zudem für viele Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler ein wichtiger Bestandteil der Auseinandersetzung mit dem Thema.


Ihnen, sehr geehrter Herr Diercks, danke ich für diese Ausstellung, die Sie als Kurator gestaltet haben. 


Meine Damen und Herren,
im Namen unseres Landesparlaments lade ich Sie herzlich ein, sich die Ausstellung und das umfangreiche Begleitprogramm anzusehen.


Auch in diesem Jahr werden wir eine Szenische Lesung von Michael Batz aufführen – im Übrigen zum 20. Mal! Sie findet am 25. Januar statt und handelt von der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik der späten 1950er-Jahre. „Hört damit auf!“ ist der Titel dieses Stücks, zudem ich Sie ebenfalls herzlich einlade.


Es freut mich vor allem, dass wir – wieder – zwei Aufführungen für Schulklassen anbieten können. 


Die große Nachfrage gerade der Jugendlichen ist ein wichtiges Signal für die Erinnerungskultur in Hamburg.  


Vielen Dank!

Datum: 18. Januar um 11 Uhr
Ort: Rathaus, Kaisersaal