Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
ich begrüße die Vertreter:innen des Konsularischen Korps,
der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie der Parlamente.
Liebe Frau van Steeg und lieber Herr Romey,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ich begrüße Sie zum Gedenken am Volkstrauertag auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme. Hier war ein Ort des Schreckens und unmenschlicher Grausamkeit, das ist noch heute spürbar.
Wir gedenken aller Toten beider Weltkriege und auch aller Menschen, die heute Opfer von Gewalt und Krieg werden. Ihrem Leid und ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl.
Wenn wir erinnern, blicken wir immer auch in die Gegenwart. Meine Gedanken sind heute insbesondere bei den Opfern des Terrors der Hamas und der Hisbollah und ihren Familien – in Israel wie in Gaza und im Libanon. Und selbstverständlich bei den Toten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und deren Angehörigen, die sich auf den dritten Kriegswinter vorbereiten müssen.
Manchmal kommt es mir so vor, als wachen wir jeden Tag in einer neuen Welt auf. Eskalationen der Gewalt in Nahost und unklare Entwicklungen unserer westlichen Weltgemeinschaft – um nur einige Beispiele der sich ständig verändernden Nachrichtenlagen zu nennen.
Unsere Welt dreht sich gefühlt immer schneller und kritische Stimmen werden lauter: Brauchen wir da Gedenktage überhaupt noch? Sind das nicht alles leere Gesten und Lippenbekenntnisse, nicht mehr als Selbstzweck? Sollte man die Vergangenheit nicht ruhen lassen?
Meine Damen und Herren, ich denke: Wir brauchen Gedenktage heute dringender denn je! Wir brauchen sie aus Respekt vor den Millionen Opfern der Nationalsozialisten, den Jüd:innen, Kommunist:innen, Homosexuellen, Sinti:zze und Rom:nja, den Menschen mit Behinderungen und geistigen Erkrankungen und allen Menschen, die von den Nazis erniedrigt, gefoltert oder getötet wurden. Momente des Innehaltens brauchen wir genauso, wie wir Orte des Erinnerns brauchen.
Ganz sicher dürfen wir immer wieder neu über unsere Erinnerungskultur nachdenken und ihr neue Formen geben, damit das, was geschehen ist niemals in Vergessenheit gerät. Und damit nachfolgende Generationen daraus lernen.
Rassismus und Antisemitismus nehmen weltweit spürbar zu, befeuert von Fake-News, Hass und Hetze im Netz bis hin zu gewaltsamen Übergriffen auf offener Straße, auch bei uns in Hamburg.
Sogar gewählte Politiker:innen, die Inklusion als „Irrweg“ und gescheitertes „Ideologieprojekt“ verstehen und fordern, Menschen mit Beeinträchtigungen aus der Mitte unserer Gesellschaft auszuschließen, pfeifen auf unsere demokratisch-freiheitliche Grundordnung. Schlimmer noch: Sie offenbaren ihr rassistisches Weltbild.
Zwischen lebenswert und lebensunwert haben auch die Nazis unterschieden, als sie beim sogenannten „Euthanasie“-Programm dafür sorgten, die „Rasse der Arier“ zu „erhalten“: Die Schwächsten der Gesellschaft wurden ermordet; Babys und Kinder mit Entwicklungseinschränkungen, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen – all jene, die im Gegenteil besonderen Schutz gebraucht hätten. Viele wurden vorher zwangssterilisiert oder qualvollen Experimenten unterzogen. An diese Gräueltaten erinnert der Gedenkort in Langenhorn, an dem wir im Anschluss ebenfalls einen Kranz niederlegen werden.
Auch am eng mit dieser Geschichte verbundenen ehemaligen Kinderkrankenhaus in der Marckmannstraße in Rothenburgsort konnte nun endlich ein Gedenkort für die mindestens 130 Kinder geschaffen werden, die dort während der NS-Zeit auf perfide Art und Weise zu Tode gequält wurden und schließlich zu Tode kamen, während ihre ahnungslosen Eltern sie voller Hoffnung auf Heilung dorthin gebracht hatten.
Die Stadt hat lange gebraucht, all das aufzuarbeiten, und umso wichtiger erscheint es mir, die Erinnerung an diese kleinen Menschen, die allerunschuldigsten, lebendig zu halten.
Dass wir in Hamburg an vielen Orten gedenken können, ist dem unermüdlichen Einsatz von Opfergruppen und ihrer Angehörigen zu verdanken. Schon die unterschiedlichen Gedenkorte in Hamburg zeigen die unfassbare Größe und die schreckliche Vielfalt der faschistischen Verbrechen, und dabei sind noch bei weitem nicht alle Schreckens- und Terrororte benannt und angemessen gewürdigt.
Als Landesparlament ist es dabei auch unsere Aufgabe, kritisch mit unserer eigenen Geschichte umzugehen, blinde Flecken auszuleuchten. Die Hamburgische Bürgerschaft hat deshalb ein Projekt in Auftrag gegeben, das die Biografien ehemaliger Abgeordneter erforscht – und auf NSDAP-Mitgliedschaften als Ausgangspunkt für Belastung überprüft.
Die Ergebnisse unserer parlamentarischen Spurensuche werden wir am 8. Januar bei uns im Rathaus präsentieren, in Form einer szenischen Lesung und einer Ausstellung. Dazu lade ich Sie schon jetzt alle herzlich ein.
Auch heute müssen wir unsere Parlamente und mit ihnen auch unser gesamtes demokratisches, freiheitliches Staatswesen wieder schützen vor ihren Feinden.
Unsere Demokratie muss wehrhafter werden und sie muss zugleich weiter alle einladen zum Mitmachen, Mitreden und Mitgestalten. Eben nicht Ausschluss, sondern Teilhabe ist der Schlüssel für unsere weltoffene Stadtgesellschaft. Ich bin allen sehr dankbar, die jeden Tag dazu beitragen.
Meine Damen und Herren,
dieser Volkstrauertag soll bei allem Gedenken aber auch ein Tag der Hoffnung sein. Mahnen und erinnern allein reicht nicht aus. Wir müssen handeln, und zwar alle und überall, wo wir den neuen Rechten begegnen. Ganz konkret und mit wenig Aufwand können wir das bei den anstehenden Wahlen in drei Monaten hier in Hamburg und in ganz Deutschland tun.
Vielen Dank.
Datum: Sonntag, 17. November 2024, 10:00 Uhr
Ort: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Ehemaliger Arrestbunker