Es gilt das gesprochene Wort!
Guten Abend, liebe Gäste.
Liebe Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft, liebe Staatsrätin Lotzkat als Vertreterin des Senates, aus dem Auswärtigen Amt begrüße ich Frau Graumann in Vertretung des Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amts unter anderem für die Holocaust-Erinnerung, sehr geehrte Mitglieder des Konsularischen Korps, lieber Herr Batz!
„Ihr wolltet mich loswerden – ich bin zurück.“ Diese Worte richtete Manfred Korman an die Stadt Hamburg. Von ihm und weiteren jüdischen Familien erzählt das heutige Dokumentarstück, das Michael Batz hier im Festsaal gleich erstmals auf die Bühne bringen wird.
Wie es sich anfühlen muss, aus seiner Heimat verbannt zu werden, können die meisten von uns nicht mal erahnen. Neben all den verübten Gräueltaten raubten wir Deutschen ehemaligen jüdischen Hamburger:innen auch ihre deutsche Identität, indem ihnen auch noch die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, wenn sie das Reichsgebiet – freiwillig oder als Deportierte – verließen.
Liebe Gäste, ich begrüße Sie im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft hier bei uns im Rathaus. Morgen, am 27. Januar, ist die Befreiung von Auschwitz 80 Jahre her. Unvergessen sind die Bilder des Grauens im kollektiven Gedächtnis gespeichert, die sich den Befreienden 1945 boten. Bis heute versuchen wir zu verstehen, wie Menschen zu so etwas fähig waren.
Von 1933 an wurden Jüd:innen nach damals geltendem Recht systematisch ausgebürgert. Seit 1949 regelte eigentlich das Grundgesetz, dass diese Menschen ihre Staatsangehörigkeit wiedererhalten. Nach Art. 116 Abs. 2 sind frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge auf Antrag wieder einzubürgern. Ich sagte eben eigentlich, weil die Anträge von NS-Verfolgten nur allzu häufig von deutschen Ämtern abgelehnt wurden.
Mal lag es am Geschlecht, mal an als ungenügend befundenen Deutschkenntnissen oder an angeblich fehlenden Dokumenten. Den Familien der Antragstellenden war in der NS-Zeit unermessliches Leid widerfahren und viele mussten einmal mehr erleben, dass sie in Deutschland nicht erwünscht sind. Hohe Verwaltungshürden und der zuweilen unsensible Umgang mit Überlebenden liefen den politischen Bemühungen um Versöhnung und Widergutmachung völlig zuwider. Wie spitzfindig dies geschah, zeigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus 2020.
Es ging um die Ablehnung der Einbürgerung einer US-Amerikanerin, deren Vater als Jude in die USA geflohen und dem die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen worden war. Die Mutter war Amerikanerin, die Eltern aber nicht verheiratet. Der Vater hatte sein leibliches Kind anerkannt, aber das reichte unseren Gerichten und Behörden nicht. Nach zweijähriger Prüfung wurde der Antrag auf Einbürgerung abgelehnt. Fünf weitere Jahre zogen sich die Verfahren hin, die Klage wurde abgelehnt, die Berufung nicht zugelassen.
Die daraufhin eingelegte Verfassungsbeschwerde war, so die Karlsruher Richter: „Offensichtlich begründet“. Die Behörden und Gerichte hätten „nicht beachtet, dass die Interpretation des Abkömmling-Begriffs in einer Weise, die nichteheliche Kinder eines ausgebürgerten deutschen Vaters mit umfasst, den Wertentscheidungen des Grundgesetzes besser entspricht als die gewählte enge Auslegung und daher den Vorzug verdient“. Diese Beschreibung der engen Auslegung zu Ungunsten der Opfer, meine Damen und Herren, steht leider exemplarisch für den Umgang Deutscher Behörden mit Widergutmachungsansprüchen in vielen Bereichen.
Wir können dafür aus heutiger Sicht nur um Entschuldigung bitten. Erst seit dieser Entscheidung ist es also NS-Verfolgten und ihren Nachkommen tatsächlich ohne größere Hürden möglich, deutsche Staatsbürger:innen zu werden – seit vier Jahren, 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die Kriege in Gaza und in der Ukraine, die erneute Präsidentschaft Trumps und damit verbundene Befürchtungen – auch all das wirkt sich stark auf die Einbürgerungen hierzulande aus: 7.156 Anträge aus Israel, bundesweit waren es 2024. Das sind drei Mal so viele wie in den Jahren zuvor. Hinter jedem einzelnen Antrag steht eine Leidensgeschichte, häufig ein langer innerer Kampf. Häufig hören wir zwar Erfolgsgeschichten. Aber die sind nur ein Teil der Wahrheit. Wenn Überlebende des Holocaust oder deren Nachkommen ihren deutschen Pass in den Händen halten, werden viele von ihren Gefühlen übermannt: Wir sind wieder da. Oftmals haben sie jahrzehntelang mit dieser Entscheidung gerungen.
Der vielleicht berühmteste neu eingebürgerte Hamburger ist Giora Feidman. Über das Leben des jüdischen Musikers erfahren wir gleich mehr. Er wäre sehr gern heute Abend hier bei uns gewesen, ist aber auf einer lange geplanten Konzertreise. Vor zwei Wochen habe ich ihm gemeinsam mit Michael Batz dazu gratuliert. Der 88-Jährige hat uns sehr beeindruckt: Mit der Einbürgerung will er seine Dankbarkeit für die jüdisch-deutsche Versöhnung zum Ausdruck bringen. Diese müsse beispielgebend für die ganze Welt sein. Was für eine großartige Geste!
Für unsere Hansestadt ist das ein wichtiges integratives Signal – und es macht ihn zum Vorbild für uns alle.
Meine Damen und Herren, ja es ist Wahlkampf, da versuchen alle Bewerber:innen um die Plätze in den Parlamenten laut und deutlich hervorzustechen. Doch Forderungen und Wahlversprechen sollten unser Grundgesetz – und unsere Vergangenheit achten. Die Zurückweisung pauschal einfach aller Schutzsuchender, der Austritt aus dem EU-Asylverfahren und die Forderung einer Rücknahme von Einbürgerungen richten großen Schaden an. Denn: Staatsbürger:innen zweifeln ihre Zukunft in unserem Land an, ausländische Fachkräfte werden abgeschreckt und Menschen, die hier im Exil leben, sorgen sich um ihre Sicherheit, das ist nicht hinnehmbar und darauf können wir niemals stolz sein.
Meine Damen und Herren, hier im Festsaal wurde vorletzte Woche der Holocaust relativiert und unsere deutsche Vergangenheit verklärt – im Fachjargon: hier wurde Geschichtsrevisionismus ausgeübt. Das kann ich, das sollten wir, so nicht stehenlassen: Adolf Hitler war ein Nazi. Etwas Anderes zu behaupten ist blanker Hohn für alle Verfolgten des NS-Terrorregimes.
Ja, Demokratie muss manchmal viel aushalten können. Alle Abgeordneten sind frei und demokratisch gewählt worden. Meinungsbildung ist qua Verfassung das Recht aller Abgeordneten, ganz gleich, welcher Fraktion sie angehören – und ganz gleich, wem das womöglich missfällt. Aber auch heute noch gilt der Satz, den Karl Popper vor fast 80 Jahren geprägt hat: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn [...] wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen“.
Unsere Demokratie ist wehrhaft. Sie muss und sie wird diese Angriffe aushalten. Und sie wird sich wehren. So sehen es auch viele Hamburger:innen, die immer wieder aufstehen gegen Rassismus und für die Menschlichkeit. Am Ende dieser Woche ist wieder eine Menschenkette in Hamburg geplant. Das macht Mut!
Meine Damen und Herren, was uns als Gesellschaft auszeichnet, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen – all das spiegelt sich in unseren Parlamenten wider. Wir alle haben die Wahl. In diesem Sinne bitte ich Sie, Ihre Stimme zu nutzen: am 23. Februar für den Deutschen Bundestag und eine Woche später, am 2. März, für unser Landesparlament, die Hamburgische Bürgerschaft. Es ist nicht egal, und wegbleiben gilt nicht!
Lieber Herr Batz,
bevor es gleich losgeht, möchte Ihnen danken. Seit 27 Jahren lassen Sie Originaldokumente wie Zeitzeug:innen zu uns sprechen. Heute gelingt es Ihnen einmal mehr, einen neuen Blickwinkel auf die NS-Geschichte einzunehmen. Ich danke auch den Sprecher:innen Muriel Bielenberg, Christoph Tomanek, Anne und Michael Weber sowie Edgar Herzog an der Klarinette und Jakob Neubauer am Bajan. Mein Dank gilt auch allen Personen im Hintergrund und neben der Bühne, die diesen Abend möglich machen.
Und nun mache ich die Bühne frei für die szenische Lesung.
Vielen Dank.
Datum: Sonntag, 26. Januar 2025, 18:00 Uhr
Ort: Großer Festsaal, Hamburger Rathaus