Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Stricharz, sehr geehrter Herr Landesrabbiner Bistritzky,
liebe Schüler:innen, sehr geehrte Damen und Herren,
vor 86 Jahren wurde auf dem jüdischen Friedhof die Leichenhalle angezündet und der brennende Leichenwagen von einem johlenden Mob durch die Hamburger Straßen gezogen.
Jüd:innen wurden verprügelt, gedemütigt, verschleppt oder getötet – in ganz Deutschland. Die Nazis in Uniform hatten angefangen, viele angestachelte Hamburger:innen aber machten begeistert mit. Unbegreiflich. Und eine Grenzüberschreitung führte schnell zur nächsten.
Die Novemberpogrome in ganz Deutschland markierten den Anfang der Shoah: den millionenfachen Mord an Jüd:innen. Ihrer aller gedenken wir gemeinsam.
Eine von ihnen ist das Mädchen auf den Plakaten für diese Gedenkveranstaltung: Es zeigt die junge Hamburgerin Hilde Dublon. Sie wurde mit 18 Jahren im KZ Theresienstadt ermordet. Ihr Schicksal steht exemplarisch für eine ganze Generation: für eine Jugend, die nicht gelebt werden durfte.
Wir stehen heute hier zusammen, wo in dieser schrecklichen Nacht die Bornplatzsynagoge Feuer fing und dieser Glaubensort von Randalierenden geschändet und zerstört wurde.
Dieses Erinnern ist schmerzhaft für alle, deren Familien zerstört wurden. Es beschämt uns, die wir geerbte Verantwortung tragen. Und es geht uns alle an.
Besonders, weil heute wieder jüdische Menschen in Hamburg antisemitische Anfeindungen erleben. Wieder sind sie Hass und Hetze ausgesetzt; der Mob wütet schamlos im Internet. Und wieder kommt es zu Übergriffen und Gewalttaten auf offener Straße.
Ron Prosor schreibt in der Jüdischen Allgemeinen, es sei kalt geworden in Deutschland.
Ich habe im Sommer gemeinsam mit dem israelischen Botschafter unser Talmud-Tora-Bildungshaus besucht und dort mit jungen Jüd:innen gesprochen.
Viele von ihnen trauen sich nicht mehr, jüdische Symbole wie den Davidstern oder die Kippa in der Öffentlichkeit zu tragen. Von nicht-jüdischen Jugendlichen werden sie wegen ihres Glaubens beschimpft. Ihre Eltern haben Angst, wenn sie allein unterwegs sind.
Drei von vier Jüd:innen erlebten seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres antisemitische Anfeindungen in unserer Stadt. Ich schäme mich für Hamburger:innen, die so etwas tun. Es macht mich traurig und wütend.
Aber: sie sind nicht die Mehrheit. Wir sind die Mehrheit, die sagen: Wir wollen Antisemitismus nicht hinnehmen. Niemals!
Die Hamburgische Bürgerschaft wird alles daransetzen, jüdisches Leben zu schützen und in unserer Stadt sichtbarer zu machen. Jüdisches Leben hat einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. Das ist in unserer Hamburger Verfassung verankert.
Und dafür, das deutlich und sichtbar zu machen, engagieren sich viele Hamburger:innen. Zum Beispiel für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge, auf den wir uns nun endlich freuen können.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Existenz eines friedlichen Staates Israel bleibt unsere Staatsräson, davon rücken wir keinen Millimeter ab.
Alle israelischen Geiseln müssen endlich freikommen. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien, denn auch sie müssen unerträgliche Schmerzen ertragen.
Als Freunde Israels haben wir eine große Verantwortung. Wir müssen und wollen unseren Beitrag leisten, um die Eskalation der Gewalt mit aller Kraft zu verhindern. Aber der Terror kann nicht allein mit militärischen Mitteln bekämpft werden.
Wir müssen die Demokratie vor ihren Feinden schützen. Dabei müssen wir unbequeme Gespräche führen – auch wenn manche Haltungen schwer zu ertragen sind.
Wir erinnern an die Gräueltaten vor 86 Jahren, damit Menschen heute Verantwortung übernehmen. Denn die Frage „warum ich“ geht uns alle an. Wieso ich? Sollen doch die anderen anfangen!
Nein! Es reicht nicht, nur an sich selbst zu denken. Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen und aktivem Handeln.
Denn die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte dürfen sich niemals und nirgends wiederholen. Unser Grundgesetz sagt dies in sehr klaren Worten: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das gilt für alle Menschen, egal, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe oder welcher religiösen Überzeugung sie sind. Auch das gehört zu unserer Staatsräson.
Vielen Dank.
Datum: Samstag, 9. November 2024, 18:00 Uhr
Ort: Joseph-Carlebach-Platz (ehem. Bornplatz)