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Rede zur Ausstellungseröffnung „Ausgeraubt vor der Deportation. NS-Verfolgte im Fokus der Hamburger Finanzverwaltung“

22. Januar 2025 Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit hielt eine Rede zur Ausstellungseröffnung „Ausgeraubt vor der Deportation. NS-Verfolgte im Fokus der Hamburger Finanzverwaltung“.

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Freedberg,
sehr geehrte Frau Neurath,
sehr geehrter Senator Dressel,
lieber Herr von Wrochem,
lieber Herr Dr. Balcar,
verehrte Mitglieder des Konsularischen Korps,
sehr geehrte Abgeordnete der Bürgerschaft,
sehr geehrter Herr Hensel,
sehr geehrte Damen und Herren!

Im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie zu unserer diesjährigen Ausstellungseröffnung im Rathaus!

Während des Novemberpogroms im Jahre 1938 plünderten und zerstörten Hamburger:innen die jüdische Synagoge auf dem Bornplatz und zahlreiche Geschäfte jüdischer Mitbürger:innen. Es folgten systematische Ausbeutungen und später die Ermordung der Jüd:innen. Jüdisches Leben, jahrhundertelange jüdische Kultur wurden auch in Hamburg vernichtet. Vor allem, aber nicht nur durch die Nationalsozialisten.

Weniger bekannt ist, dass das Unrecht für viele Betroffene sich auch nach der Befreiung fortsetzte. Viele Menschen, auch solche, die in Verwaltung oder Justiz tätig waren, hatten bereitwillig mitgemacht und geholfen, die Anordnungen der Regierenden umzusetzen. Die meisten unter ihnen wurden 1945 aus dem Dienst entfernt und einige wenige sogar bestraft, aber die große Mehrheit blieb im Amt.

Die Ausstellung, die Sie ab heute besichtigen können, klärt über die Schicksale der Verfolgten und die Plünderungen durch den NS-Staat auf:
In der Ausstellung lernen Sie auch Betty Levy kennen, ihr gelang 1939 die Flucht über Amsterdam nach Südafrika gemeinsam mit ihrer Tochter. Ihren gesamten Besitz plünderte der Staat schamlos. Ich freue mich sehr, dass heute Jean Freedberg, die Urenkelin von Betty Levy, bei uns ist und gleich die überlieferten Erinnerungen ihrer Familie schildern wird.

Ebenso werden wir über die schreckliche Behandlung des jüdischen Ehepaar Moses unterrichtet. Ihr Bekleidungsgeschäft in der Neustadt wurde 1939 enteignet und in „arische Hände“ übergeben. Sie überlebten die Verfolgung nicht. Ihre Enkelin Ilse Neurath wird ebenfalls gleich zu uns sprechen.

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und in der Folge ein ganzer Beamtenapparat hatten wesentlichen Anteil an der Verfolgung, Demütigung und Ausbeutung der NS-Opfer. Als Hafen- und Auswandererstadt war Hamburg maßgeblich an der Beraubung der NS-Verfolgten beteiligt. Viele Unternehmen und Privatpersonen profitierten von dem beispiellosen Raub in der NS-Zeit und manche leben noch heute von Vermögen, deren Grundstein durch die Aneignung jüdischen Eigentums gelegt wurde.

Einige Unternehmen bekennen sich dazu, andere haben bis heute nicht ernsthaft ihre Geschichte aufgearbeitet.

Meine Damen und Herren!
Die Nationalsozialisten, auch Hamburger:innen, haben Menschen barbarisch ermordet. 

Sie haben sie erst ermittelt und ausfindig gemacht, dann gefangen und inhaftiert, manche gefoltert, und die Transporte in die Vernichtungslager organisiert.

Sie haben mit ihren Deportationen und der Verfolgung, Kriminalisierung und Ermordung von Jüd:innen, Rom:nja und Sinti:zze, homosexuellen Männern oder politischen Feinden ganze Familien ausgelöscht.

Niemals zuvor in der Geschichte sind in einem solchen Umfang und mit einer solchen akribischen Systematik Massenmorde begangen worden, wie damals in unserem Land.

Dies darf nie in Vergessenheit geraten, und die Hamburgische Bürgerschaft will ihren Teil dazu beitragen.

Um aller Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, organisieren wir seit 27 Jahren szenische Lesungen im Rathaus:

„Ihr wolltet mich loswerden – ich bin zurück!“ ist der Titel der diesjährigen Veranstaltung, die am Sonntag für Interessierte und Montag für Schüler:innen aufgeführt wird. Thematisiert werden die bürokratischen Hürden und die erneute Diskriminierung der Menschen, die nach dem Krieg ihr Recht auf die Rückgabe ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nutzen wollten.

Unser Parlament setzt sich entschieden gegen Gewalt und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Die Bürgerschaft stellt sich der Verklärung des Nationalsozialismus entgegen. Das haben wir fest in unserer Verfassung verankert.

Und das sieht die große Mehrheit der Hamburger:innen so! Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an die Ausstellungseröffnung im vergangenen Jahr, am 19. Januar 2024, wo am Nachmittag zuvor 180.000 Bürger:innen auf der Straße waren, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren,
es gibt auch zunehmend Bürger:innen, die ganz offen die Verbrechen der Nazi-Zeit entweder in Zweifel ziehen oder zumindest die Meinung vertreten, nun müsse aber endlich einmal Schluss sein mit Gedenken und Erinnern.

Hitler war ein Nazi. Dass hier bei uns im Festsaal vor einer Woche seine Taten verharmlost und unsere Geschichte geleugnet wurden, ist nur schwer zu ertragen.

Dagegen sind am vergangenen Donnerstagabend wieder fast 20.000 Menschen in Hamburg aufgestanden gegen Rassismus und für die Menschlichkeit. Das macht Mut.

Womöglich ist es die größte Herausforderung unserer Zeit: unsere Demokratie zu beschützen. Wir müssen wachsam und alarmiert bleiben – Am 23. Februar und am 2. März hat jeder Gelegenheit, einen Teil dazu beizutragen.

Ich bin sicher, Sie alle werden sich an der Bundestagswahl und eine Woche später an der Bürgerschaftswahl beteiligen.

Bitte tun Sie noch mehr: überzeugen Sie andere, Ihre Bekannten, Arbeitskolleg:innen und Nachbarschaft, davon, ebenfalls ihre Stimmen für unsere Demokratie einzusetzen.

Vielen Dank.

Datum: Mittwoch, 12. Januar 2025, 12:00 Uhr
Ort: Großer Festsaal, Hamburger Rathaus

English version

Frau Freedberg,
Frau Neurath,
Senator Dressel,
Herr von Wrochem,
Dr Balcar,
Members of the Consular Corps,
Members of the Hamburg Parliament,
Herr Hensel,
Ladies and Gentlemen,

On behalf of the Hamburg Parliament, welcome to the opening of this exhibition in the City Hall.

During the November Pogrom of 1938, the people of Hamburg plundered and destroyed the Jewish synagogue at Bornplatz and many Jewish-owned businesses. Systematic exploitation and later the murder of Jews followed. Jewish life and centuries of Jewish culture were destroyed in Hamburg, too – above all by the National Socialists, but not by them alone.

What is less well known is that the injustice continued for many even after liberation. Many people, including those who worked in the administration or the judiciary, had willingly participated and helped to implement the orders of those in power. Most of the perpetrators in the administration were removed from public office in 1945, and a few were even punished, but the vast majority of Nazis retained their jobs after 1945.

The exhibition, which opens to visitors today, provides information about the fate of those persecuted and the plunder by the Nazi state:

In the exhibition you will also get to know Betty Levy. In 1939 she managed to flee to South Africa, via Amsterdam, together with her daughter. All of her possessions were shamelessly plundered by the state. I am very pleased that Jean Freedberg, Betty Levy’s great-granddaughter, is with us today and in a moment will recount her family memories.

We will also hear about the terrible treatment of the Jewish couple, Mr and Mrs Moses. Their clothes shop in the Neustadt neighbourhood was confiscated in 1939 and put in “Arian hands”. They did not survive their persecution. Their granddaughter Ilse Neurath will also speak to us in a minute.

The Senate of the City of Hamburg and consequently an entire apparatus of civil servants played a major role in the persecution, humiliation and exploitation of Nazi victims. As a seaport and emigration gateway, Hamburg was instrumental in the robbery of those persecuted by the Nazis. Many companies and private individuals profited from the unparalleled robbery during the Nazi era and some still benefit today from assets whose foundations were laid by the appropriation of Jewish property.

Some companies acknowledge this, while to this day others have yet to seriously come to terms with their history.

The National Socialists, and that includes the people of Hamburg, barbarically murdered other human beings.

They first investigated them and tracked them down, then they took them captive and imprisoned them, they tortured some, and they organised the transports to the extermination camps. They snuffed out whole families through their deportations and the persecution, criminalisation and murder of Jews, Roma/Romnja and Sinti/Sintize, homosexual men or political enemies.  

Never before in history have mass murders been committed on such a scale and with such meticulous rigour as in our country.

This must never be forgotten, and the Hamburg Parliament will play its part.

To commemorate all victims of National Socialism, we have for 27 years been organising dramatic readings in the City Hall:

“You wanted to get rid of me – I’m back!” is the title of this year’s event, which will be performed on Sunday for those interested and on Monday for school students. The theme will be the bureaucratic hurdles and the renewed discrimination faced by those who, after the war, wanted to exercise their right to have their German nationality restored.

The Hamburg Parliament is resolutely committed to combating all violence and to all forms of group-based misanthropy. Our parliament is opposed to the glorification of National Socialism. We have enshrined this firmly in our constitution.

And that is the way the overwhelming majority of the people of Hamburg see the matter, too. Perhaps you remember the opening of the exhibition last year, on January 19, 2024, when in the afternoon 180,000 people in Hamburg took to the streets to demonstrate against right-wing extremism.

And yet, there is an increasing number of people who quite openly either call into question the crimes of the Nazi era or at least express the view that commemoration and remembrance must finally come to an end.

Hitler was a Nazi. The fact that his deeds were trivialised and our history denied here in the banquet hall a week ago is hard to bear. On the other hand, last Thursday evening almost 20,000 people made a stand against racism and in favour of compassion. That gives us courage.

Perhaps the greatest challenge of our times is to protect our democracy. We must remain vigilant and alert – on February 23 and on March 2 everyone will have the opportunity to do their part.

I am sure that you will all be taking part in the Federal Elections and, a week later, in the elections to the Hamburg Parliament.

But please go beyond that: convince other people – your friends and acquaintances, colleagues and neighbours – to use their votes to support our democracy, too.

Thank you.

Date: January 22, 2025, 12:00
Place: Banquet Hall, City Hall