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Grußwort der Präsidentin zum Gedenken an 80 Jahre Kriegsende im Plenarsaal der Bürgerschaft

07. Mai 2025 Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit hielt ein Grußwort anlässlich des Gedenkens an 80 Jahre Kriegsende im Plenarsaal der Bürgerschaft.

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Bossong,

verehrte Abgeordnete, verehrte Mitglieder des Senats,

liebe Mitglieder des Konsularischen Korps, 

Vertreter:innen der Religionsgemeinschaften,

liebe Gäste,

im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft begrüße ich Sie zur Feierstunde – auch alle, die uns digital zusehen. 

Zum 3. Mal begehen wir den Gedenktag 8. Mai offiziell und öffentlich.

Zur Feierstunde vor einem Jahr war Peggy Parnass zu Gast bei uns im Rathaus, vor wenigen Wochen ist sie verstorben. Sie sagte: „Zu viele NS-Täter konnten in den Jahren danach einfach so weitermachen. Trotzdem ist es gut, dass wir diesen Tag heute feiern und daran erinnern, was war und was nicht wieder passieren darf“.

Im Jahr 2013 hatten wir hier im Plenarsaal den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu Gast. Die Zeit des NS-Terrors schien weit weg zu sein. In seiner Rede sagt er, dass die „etablierte Gedenkkultur“ einer der Gründe für die „politische Stabilität“ Deutschlands sei.             

Wie haben sich die Zeiten geändert! Oder haben wir damals bloß nicht genau genug hingesehen im friedlichen Europa?

Im Jahr 2025 wissen immer weniger junge Menschen, was der Holocaust ist. Während gleichzeitig Antisemitismus zunimmt und KZ-Gedenkstätten bedroht werden, Rechtspopulisten historische Tatsachen verdrehen und eine gefährliche Täter-Opfer-Umkehr betreiben.                             

 Politisch motivierte Gewalt nimmt zu, auch bei uns in Hamburg. Verrohung und Radikalisierung, erst im Netz, dann auf der Straße – all das bereitet große Sorgen.

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs müssen wir uns also Fragen stellen, auch die unbequemen. Wie können wir den Befreienden und Befreiten 80 Jahre nach Kriegsende angemessen gedenken? Wem und mit wem gedenken wir? Und warum, sollten wir das in Zukunft eigentlich weiter tun, meine Damen und Herren?

Liebe Frau Bossong, wir freuen uns sehr, dass Sie heute bei uns sind. Als Philosophin und weibliche Stimme aus der Literatur mit einem etwas jüngeren Blick auf die deutsche Geschichte und auf die Politiker:innen und politischen Menschen Ihrer Generation. Wir sind sehr gespannt, gleich Ihre Gedanken zum Thema Freiheit zu hören. 

Der 8. Mai, in Hamburg ja eigentlich der 3. Mai – als Tag der Übergabe der Stadt an die britischen Besatzer – fühlte sich für die meisten Hamburger:innen im Jahr 1945 eben nicht wie eine Befreiung an. Befreit wurden sicher all die verfolgten und inhaftierten Opfer vom Nazi-Terror, sofern sie die Gräueltaten und Todesmärsche der letzten Kriegstage überlebt hatten. 

Aber die Mehrheit der Hamburger:innen hatte mitgemacht oder weggeschaut, abgewehrt und verdrängt. Es hatte vier alliierte Armeen gebraucht, um das Hitlerreich in die Knie zu zwingen. Keine Partisanen, nicht die Deutschen selbst haben den Sieg errungen. Gefeiert wurde nicht. Sondern geschwiegen.

Erst das politische Bekenntnis verhalf den Deutschen, vom Verdrängen der eigenen Schuld und dem Opferfokus abzurücken und sich kritisch mit Täterschaft und Verantwortung auseinanderzusetzen – bis heute nicht vollständig und bis heute und wieder von manchen geleugnet. 

Den Deutschen fiel es schwer, Verantwortung für die NS-Zeit zu übernehmen und ihre Geschichte aufzuarbeiten, den Frieden wertzuschätzen und sich vom Schweigen zu befreien. Bis heute ringen wir um Deutungen. Auch verlief der Weg hin zur Demokratisierung alles andere als geradlinig. Und doch hat er uns in die freiheitlich-liberale Gesellschaft geführt, in der wir heute leben dürfen.

Unsere Demokratie und unser Rechtsstaat, deren Voraussetzungen durch die bedingungslose Kapitulation am 7. Mai 1945 erst geschaffen wurden, müssen wehrhaft sein. Dazu gehört, und davon bin ich überzeugt, dass sie verfassungsfeindlichen Bestrebungen von allen Seiten entschieden entgegentritt. 

Und dabei darf es auch keine Rolle spielen, wie viele Anhängerinnen und Anhänger eine verfassungsfeindliche Organisation gerade hat und ob sie Sitze in deutschen Parlamenten auf demokratischem Wege erlangt hat.

Das ist übrigens auch keine ganz neue Erkenntnis, ich darf an dieser Stelle unseren Ehrenbürger Herbert Wehner zitieren, der ganz klar war: 

„Das Verbot ist ein legitimes Mittel gegenüber [der NPD und anderen] Erscheinungen, die an die NSDAP anknüpfen. Hier geht es nicht darum, mit juristischer Akribie Beweise zu erbringen, sondern darum, die Wiederholung des schrecklichen Unglücks zu verhindern, das die NSDAP bedeutet hat. Wer argumentiert, daß diese Leute ja schon in Landtagen sitzen und deshalb akzeptiert werden müssen, der hat – ob bewußt oder unbewußt– im Grunde schon kapituliert“.

Herbert Wehner, 1967, meine Damen und Herren. 

Liebe Gäste,

in Hamburg haben wir einen besonderen Weg des Gedenkens eingeschlagen: Nachdem die Hamburgische Bürgerschaft 2021 mehrheitlich beschlossen hat, den 8. Mai zum offiziellen Gedenktag zu machen, haben wir einen Gespräche geführt mit vielen Akteuer:innen in der Stadt, die sich schon lange um das Gedenken an diesem Tag bemühen, Ideen geteilt und aufgegriffen, auch seitens der Stadt noch einmal neue Formate entwickelt. 

Dieses Bündnis aus Politik und Akteur:innen aus der Stadtgesellschaft ist für Hamburg ein starkes Zeichen, bundesweit gibt es nichts Vergleichbares. Alle Aktivitäten in Hamburg in dieser Woche des Gedenkens sind erstmals sichtbar gebündelt auf einer gemeinsamen zentralen Website zu finden: rund um den 8. Mai finden mehr als 120 Veranstaltungen statt – im Namen der Hamburgischen Bürgerschaft danke ich allen Beteiligten.

Der Wunsch ist, dass jeder Mensch in unserer Stadt an der ein oder anderen Stelle auf den 8. Mai aufmerksam wird! Damit das große Wort „Freiheit“ mit Leben – und insbesondere mit Ideen und Werten gefüllt wird. 

Uns zu erinnern, bedeutet immer auch, aus der Vergangenheit zu lernen für unser zukünftiges Handeln. Zu fragen, wie wir Diskurse führen, Orte der Begegnung schaffen und unser Miteinander gestalten wollen. Das zeichnet uns als gute Demokrat:innen aus. Und so ist das Gedenken am 8. Mai ist untrennbar mit dem Auftrag verbunden, unsere Freiheit zu sichern und unsere Demokratie vor ihren Feinden zu beschützen.

Ich danke Ihnen und übergebe das Redepult an unsere Gastrednerin, Nora Bossong.

Datum: 7. Mai 2025 ab 12.30 Uhr
Ort: Rathaus, Plenarsaal